Haben die Reformierten noch eine Sprache für ihren Glauben? - eine dringende Frage auf dem unübersichtlichen religiösen Markt. Die Landeskirchen konnten im 19. Jahrhundert ihre Einheit bewahren, indem sie das Bekenntnis, auf das zuvor alle Mitglieder verpflichtet waren, aufgaben. Dadurch hätten sie sich von einem Bekenntniszusammenhang abgeschnitten, sagte der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich am Montag in Genf vor den Abgeordneten der 26 Mitgliedkirchen. Die Aufgabe des Bekenntnisses habe "zu einem fundamentalistischen Verständnis der Bekenntnisse ausgerechnet in den bekenntnisfreien Kirchen der Schweiz geführt - indem der Interpretationsprozess, der anderswo weiterging, bei uns abrupt abbrach". Denn auch die konservativen Reformierten hätten es nicht mehr verwendet. Eben ist ein "Werkbuch Bekenntnis" erschienen, die Frucht über 15-jähriger Arbeiten einer Initiativgruppe um Matthias Krieg, den leitenden Erwachsenenbildner der Zürcher Landeskirche. Die Gruppe animierte Gemeinden, neue Bekenntnistexte zu erstellen und/oder einmal monatlich das Apostolikum im Gottesdienst zu sprechen. Das zweisprachig vorliegende Werkbuch versammelt alte reformierte Bekenntnisse und neue Texte. Es gehe um "Bekenntnis als Dialog", betonte Ruedi Reich, "Bekenntnis, um die Sprachfähigkeit des christlichen Glaubens zu erhalten." Der Zürcher Kirchenleiter erinnerte an das Vorrecht, das er mit der Sonntagschule genossen habe. Heute seien die "Bezüge zur biblischen Tradition nicht mehr da - noch weniger zum Bekenntnis". Reich freut sich über Entwicklungen in Gemeinden, "wo man sich auf altes Bekennen und neues Bekennen eingelassen hat". Er verwies vor den SEK-Delegierten auf den Bekenntnisbezug in den Grundlagenartikeln der neuen Zürcher Kirchenordnung (die anderen reformierten Kirchen kennen dies nicht). Es gehe aber nicht darum, das Bekenntnis mit einer juristischen Verpflichtung wiedereinzuführen. Reich lud die Schweizer Schwesterkirchen ein, sich mit den Bekenntnissen zu beschäftigen. Der Rat des SEK nahm eine dazu eingereichte Motion, eine Vernehmlassung zum Werkbuch in Auftrag zu geben und weitere Arbeiten zu erwägen, gern entgegen. Ratspräsident Thomas Wipf sagte, ein Bekenntnis sei dazu da, "überlieferten Glauben in einer aktuellen Situation neu" zu formulieren. Regelmässig seien Schweizer bei Gottesdiensten im Ausland froh, dass der Pfarrer das Apostolikum vorspreche. Wipf fuhr fort: "Als Reformierte werden wir nicht wahrgenommen, wie wir uns verstehen, nämlich als bekenntnisfrei, sondern als bekenntnislos - was wir nicht sind." Auch der Ökumene wegen sei das Nachdenken übers Bekennen den Reformierten aufgegeben. Das Werkbuch könne den Prozess fördern. Das Nebeneinander der alten Texte zeigt laut Wipf an, "dass Bekenntnisse aus reformierter Sicht stets reformierbar sind". Sie seien "Verständnis und Sprachhilfe für den Glauben in Zeiten des Umbruchs und neuer Herausforderungen". Der Rat des Kirchenbundes werde eine breite Konsultation einleiten, mit dem Ziel, Gespräche auf allen Ebenen der Kirchen anzuregen. Am Montag übergab ein "Komitee für ein politisch engagiertes und prophetisches HEKS" der Abgeordnetenversammlung eine Petition mit 3500 Unterschriften. Der Rat des SEK hatte auf Fragen der Zürcher Delegation zu dieser Petition zu antworten. So kam es vor der Behandlung des HEKS-Jahresberichts am Dienstag zu einer knapp einstündigen Debatte. Der Rat des SEK sprach dem HEKS sein Vertrauen aus. Er appellierte an die Mitgliedkirchen, die Diskussionen in konstruktive Bahnen zu lenken. Der HEKS-Stiftungsratspräsident Claude Ruey legte die Stossrichtung des Werks engagiert dar. In der Petition wird dem Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) ein "schleichender Kurswechsel" vorgeworfen. Die Petitionäre, provoziert von der Wahl des Nestlé-Direktors Roland Decorvet in den HEKS-Stiftungsrat vor einem Jahr, fordern ein verstärktes politisches Engagement. Der Rat und die Abgeordneten des SEK übten sich - angesichts der medialen Wellen und der Verunsicherung in Kirchgemeinden - in Schadensbegrenzung. Die in der Petition genannten Themen seien bereits heute ein Bestandteil der Arbeit von HEKS, hiess es. Mehrfach wurde bedauert, dass die Petitionäre ihre Anliegen bisher primär über die Medien vorbrachten (sie werfen dem HEKS-Stiftungsrat vor, sie nicht angehört zu haben). Die Mandate für die Tätigkeiten des HEKS werden durch die Abgeordnetenversammlung des SEK beschlossen. Ein Kurswechsel würde von den Vertretern der Mitgliedkirchen entschieden. Aufgrund der "auf Friedensförderung und Konfliktbewältigung ausgerichteten Projekte" (HEKS-Strategie 2008-2012) sieht der Rat des SEK im HEKS einen politisch engagierten und prophetischen Partner. Petition Weiter befassten sich die Abgeordneten auch mit den grossen gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Lausanner Religionssoziologe Jörg Stolz gab erste Einblicke in ein Buch, das im Herbst erscheinen wird. Es analysiert das gesellschaftliche Umfeld der Kirchen - ein Beitrag zum Prozess, der in eine neue Verfassung des SEK münden soll. Das Buch nennt acht Megatrends, die die Landeskirchen betreffen, schildert Lebensstil-Milieus und gibt einen Überblick über kirchliche Studien und Reaktionen auf die Megatrends. (Livenet wird darauf zurückkommen.) Klar ist für Stolz, dass "reformierte Kirche deutlich kleiner und ärmer sein werden, die Menschen deutlicher älter". Er ermutigte die Vertreter der kantonalen Kirchen, voneinander zu lernen. Link zum Thema:Den Bogen schlagen
Bezug zur Tradition
"Bekenntnisse stets reformierbar"
Vertrauen für HEKS
Kein Kurswechsel
Antwort des Rates SEK downloaden Den Megatrends ausgeliefert?
Die Traktanden der Abgeordnetenversammlung
Datum: 17.06.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch