Gutes Leben – gutes Sterben
Denise Battaglia zu beantworten versucht.
Schmerzloses Sterben scheint heute mehr zu beschäftigen als gelingendes Leben. Jedenfalls wenn man das mediale Interesse daran misst. Und: je mehr das Thema begleiteter Suizid die Medien und damit die Öffentlichkeit beschäftigt, desto normaler werden die Dienste von «Exit» und Co. Dies belegt der Anstieg der assistierten Suizidfälle von sage und schreibe 35 Prozent innerhalb eines Jahres.
Erst der Anfang ...?
Möglicherweise sei dies erst der Anfang einer Entwicklung, wird Georg Bosshard in der «NZZ am Sonntag» zitiert. Bosshard ist Leitender Arzt an der Klinik für Geriatrie des Universitätskrankenhauses Zürich. Er zog einen Vergleich mit dem belgischen Flandern. Dort scheide schon heute jeder zwanzigste mittels Sterbehilfe aus dem Leben.
Das gute Leben und der Todeswunsch
Goldrichtig kommt daher der neue Beobachter-Ratgeber «Leben, Tod und Selbstbestimmung.» Es handelt nicht nur von selbstbestimmtem Tod, sondern noch stärker von gelingendem Leben. Menschen, die ein gutes Leben führen können, suchen viel seltener freiwillig den Tod als vom Leben Enttäuschte.
Verpasstes Leben?
Das Buch kommt denn auch aus gutem Haus. Denise Battaglia ist Mitarbeiterin der Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle. Sie hat mit ihr zusammen auch das Buch «Gutes Leben – gutes Sterben» herausgegeben. Davon profitiert auch der Beobachter-Ratgeber. Er knüpft gleich zu Anfang beim Thema Lebenssinn an und nennt fünf Versäumnisse, die Menschen angesichts des Todes zu Protokoll gaben. zum Beispiel: «Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie es andere von mir erwarteten.» Oder: «Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben.»
Beziehungen aufbauen und pflegen
Das Buch thematisiert dann ausführlich Fragen um Lebensqualität und gibt Beispiele von Menschen, die nach schweren Schicksalsschlägen zum Leben zurückgefunden haben, wie der Skirennfahrer Silvano Beltrametti. Es betont die starke Rolle von Beziehungen zu andern Menschen. Wenn es um die Fragen von Patientenverfügung oder selbstbestimmtes Sterben geht, informiert das Buch sehr sachlich und vergisst auch die Angehörigen von Menschen, die sich suizidieren lassen, nicht. Rund 20% von ihnen erleben diesen Abschied als Trauma und leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen.
Offen bleiben für letzte Erfahrungen
Das Buch macht Mut, die Zeit des Alters nicht als Defizit sondern als Chance zu nutzen. Ausführlich geht es dann auf die Palliativpflege als Alternative zum selbstbestimmten Sterben ein. Es gibt Beispiele, wie totkranken Menschen noch ein letzter Wunsch erfüllt wurde, von dessen Erfüllung sie bis zum Tod zehrten. Dabei bleibt die Autorin immer realistisch und verzichtet auf Schönfärberei. Damit ist es auch glaubwürdig.
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Datum: 07.12.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet