Über 300 Millionen Kinder hungern - wer macht sie satt?

Hunger
Ohne Worte!
Wirklich Fortschritt?

Während wir uns in Mitteleuropa mit Champagner und Lachs verwöhnen, träumen die Menschen in der Dritten Welt von Wasser und Brot. Weltweit hungern über 300 Millionen Kinder. Wer hilft ihnen?

Mein Einkaufstempel wurde umgebaut. Jetzt ist er noch viel grösser und schöner. Ich brauche bei meinem Wocheneinkauf immer mehr Zeit, bis ich durch die Lebensmittelabteilung bin. Die Regale werden immer länger, die Auswahl wird immer grösser. Die Qual der Wahl nimmt zu. Milch ist nicht gleich Milch, Senf nicht gleich Senf, Kaffee nicht gleich Kaffee. Ich kann aus unzähligen Sorten wählen, was mir passt! Bin ich eigentlich im Schlaraffenland?

Das Gebet einer Mutter

«Das Geld reichte nicht mehr, um die Kinder zu ernähren.» So erklärt Rosalyn, warum sie zur Drogenkurierin wurde. «Als mein Mann sich von mir trennte, sparte ich zuerst Geld, indem ich zu Fuss zur Arbeit ging, um aus der Fahrkostenentschädigung des Arbeitgebers Milch und Brot für meine Familie zu kaufen. Als ich meine Arbeit verlor, begann ich als Prostituierte zu arbeiten. Um diesem Job zu entfliehen, übernahm ich einen Drogenkurierdienst. Damit wollte ich die Not von meiner Familie abwenden...

Ich wurde am Flughafen festgenommen. Im Gefängnis lernte ich durch Kolleginnen eine in Lateinamerika verbreitete Protestform kennen: Frauen veranstalten Demonstrationen, schlagen dabei auf Töpfe und protestieren so lautstark gegen das Unrecht, das ihnen und ihren Kindern angetan wird. Mit leeren Töpfen werden die Verantwortlichen darauf aufmerksam gemacht, dass auch wir ein Anrecht auf volle Töpfe haben – und ein Leben in Würde: Genug zum Essen und Arbeit, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, damit unsere Kinder zur Schule gehen können und nicht betteln müssen.

Auch ich wehre mich dagegen, schicksalsergeben alles hinzunehmen. Deshalb lerne ich im Gefängnis Nähen, arbeite in der Küche und spare dadurch Geld für die Zukunft meiner Kinder. Die Kraft zum Durchhalten gibt mir dabei der Glaube: Ich weiss, dass ich einen Fehler gemacht habe. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Gott mir hilft, mit neuer Kraft zu meinen Kindern zurückzugehen. Jeden Abend bete ich für sie – und dafür, dass ich es aushalte, so lange ohne sie zu sein.» (Aus Agenda 2004 «Brot für alle» und «Fastenopfer»)

Mit vollem Bauch

Aufstehen, duschen und das Frühstück mit einem heissen Kaffee geniessen, das tut gut. Abends vor dem Schlafengehen noch etwas trinken, vielleicht noch ein «Bettmümpfeli» geniessen, wie wir Schweizer sagen.

Ins warme Bett schlüpfen und trotz aller Probleme und Unsicherheiten mit einem satten Bauch einschlafen, das gibt uns das Gefühl von Sicherheit und Aufgehobensein. Vielleicht feiern wir am Sonntag sogar Erntedankfest in unseren Kirchen. Und wir danken Gott täglich, dass es uns so gut geht.

Doch über 800 Millionen Menschen auf dieser Erde haben diesen sicheren Rahmen nicht. Davon sind über 300 Millionen Kinder. Sie erwachen hungrig und gehen hungrig schlafen. Dürfen wir uns mit dieser Tatsache einfach abfinden?

Bittere Bilanz

Auf der Suche nach Zahlen, Fakten und Tatsachen merkte ich, dass ich mich mit dem Thema «Hunger» übernommen habe. Nicht einmal die grossen Führer dieser Welt kommen damit zurecht:

- 1974 hatte man noch Visionen. Nach der Welternährungskonferenz wurde verkündet, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre möglich sein werde, alle Menschen satt zu machen.
- 1996, also 22 Jahre später, auf der Welternährungskonferenz in Rom, war man realistischer in der Einschätzung. Die unzähligen Hilfsprogramme der vergangenen Jahre hatten enttäuschend wenig gegen Hunger und Unterernährung bewirkt. Man sei schon zufrieden, verkündeten die Delegierten, wenn es gelinge, die Hungernden bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren.
- Sechs Jahre später, beim Welternährungsgipfel 2002 in Rom, zog man eine erste bittere Bilanz zu dieser Zielvorgabe: Nach Angaben der «Food and Agricultural Organisation» (FAO) nimmt die Zahl der Hungernden jährlich nur um sechs Millionen ab. Um das ehrgeizige Ziel noch zu erreichen, müsste die Abnahme aber bei 22 Millionen Menschen pro Jahr liegen.

Grosses Versagen

«Es ist Zeit zu handeln», rief UNO-Generalsekretär Kofi Annan den in Rom Versammelten zu: «In einer Welt des Überflusses liegt es in unserer Macht, den Hunger zu beenden. Das Versagen, dieses Ziel zu erreichen, sollte uns alle mit Scham erfüllen.» Der Generaldirektor der FAO, Jacques Diouf, äusserte sich erbittert darüber, dass ausser dem spanischen Ministerpräsidenten kein weiterer Staats- oder Regierungschef eines reichen Industriestaates nach Rom gekommen war. Er wertete dies als Zeichen, dass die Reichen dem Kampf gegen den Hunger keinen Vorrang geben.

Viele Diskussionen

Statistisch gesehen gibt es auf der Erde pro Kopf 3140 Nahrungskalorien und 65 Gramm Eiweiss (mittlerer Nahrungsbedarf 2400 Kalorien). Trotzdem: Über 800 Millionen leiden grossen Hunger. Eine Welt ohne Hunger ist das Ziel aller grossen Politiker und Wissenschaftler. Doch über die Wege dahin wird gestritten. Was die einen als Lösung sehen, wird von anderen abgelehnt. Wer am Welthunger nicht Schuld sein will, schiebt den Schwarzen Peter einem anderen zu:

- Die Dritte Welt wirft den reichen Industriestaaten vor, ihre Agrarmärkte nach wie vor auf unfaire Weise abzuschotten.
- Andere geben Kriegen und Protektionismus die Schuld an der grossen Armut.
- Oder müssen die Dritt-Welt-Märkte vor subventionierten Dumping-Importen aus dem Norden geschützt werden?

Hilft die Gentechnik?

- Gentechnik-Befürworter argumentieren, dass der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelproduktion den Hunger in der Dritten Welt beseitigen könnte.
- Gentechnik-Kritiker behaupten ihrerseits, gerade das Gegenteil sei der Fall. Höhere Erträge durch Gentechnik förderten den Export, und der Hunger verstärke sich noch in den betroffenen Ländern.
- Liegt die Lösung bei den Vegetariern? Sie weisen auf das immense Agrarland hin, welches für Tiernahrung oder die Fleischproduktion gebraucht wird, statt dass dort Nahrungsmittel für Millionen von Menschen angebaut würden.
- Ist es die fehlende Kaufkraft der Landlosen, Slumbewohner, Arbeitslosen, die den Hunger verursacht?
- Oder kann angesichts einer ungerechten Verteilung nur eine grundsätzlich andere Entwicklungspolitik den Hunger besiegen?

Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Kein Argument ist ganz falsch und keines allein richtig. Aber Ziele formulieren und über Wege streiten bringt den Armen kein sauberes Wasser, kein Brot und keine vollen Reisschüsseln.

Kleine Schritte

Auch ich kann leider keine grossartigen Lösungen des weltweiten Hungerproblems anbieten. Doch ich glaube daran, dass viele kleine Schritte eine grosse Wirkung erzielen können. Ich bin überzeugt davon, dass nur schon die rund 30’000 Menschen, die das Chrischona-Magazin lesen, Wesentliches bewirken können, wenn alle einen persönlichen Beitrag leisten.

Viele Möglichkeiten

Wir könnten als Gemeinden, Familien oder auch als Einzelpersonen zum Beispiel:

- durch eine oder mehrere Patenschaften die Lebensumstände von Familien und ganzen Dorfgemeinschaften verbessern
- Kinderspeisungsprogramme unterstützen
- Suppentage einführen und gespartes Geld zusätzlich für Hungernde spenden
- mit Schulkindern oder in der Jugendstunde den Welthunger thematisieren
- Bazare, Sponsorenläufe und andere Anlässe zugunsten Hungernder veranstalten
- unseren Konsum allgemein überdenken und Produkte aus fairem Handel kaufen
- unseren Fleischkonsum überdenken
- den Slogan «Geiz ist geil» als falsch und unfair verurteilen. Oft werden hinter Billigstprodukten Menschen ausgebeutet.

Abschliessend eine Feststellung von Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach: «Haben und nichts geben ist in manchen Fällen schlechter als stehlen.»

Datum: 26.10.2004
Autor: Esther Reutimann
Quelle: Chrischona Magazin

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