Junge Westeuropäer

Muslime sind durch Unterweisung religiöser

Eine grosse Minderheit der jungen Westeuropäer wird nicht religiös belehrt. Viele haben keinen bestimmten Glauben. Eine Umfrage in Frankreich, Spanien und Grossbritannien zeigt eklatante Unterschiede zwischen Einheimischen und zugewanderten Muslimen.
Wollen teilhaben an Europa: muslimische Mädchen.
Junge im Burgund.
Da ist die Kirche noch dabei: Heirat in Sevilla.
Im Zentrum von London.

Bedeutsamer als die von den Medien aufgegriffenen Ergebnisse über Diskriminierung und Gewaltbereitschaft der Jungen sind die Aussagen zu ihrer Religiosität. In den drei Ländern Frankreich, Spanien und Grossbritannien wurden je 400 muslimische und 600 nicht-muslimische Jugendliche von 12-18 Jahren befragt. Die Studie der EU-Agentur für Grundrechte wurde diese Woche in Wien vorgestellt.
Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, dass die drei Staaten mit Religion ganz verschieden umgingen und umgehen. Zudem stammen die grössten Muslimgruppen nicht aus denselben Ländern. Doch die Differenzen, die sich daraus ergeben, scheinen weniger bedeutsam als die Polarität zwischen Muslimen und dem Rest. Insgesamt scheinen die Einheimischen im säkularen Strom Westeuropas so mitzuschwimmen, dass bei einer grossen Minderheit religiöse Identität nicht gefördert oder gar nicht gebildet wird.

Wer wenn nicht die Familie?

Die Jugendlichen wurden gefragt, wer ihnen Religion weitergegeben und sie gelehrt hat. 67 bis 81 Prozent der Muslime nannten die Familie. Bei den Nicht-Muslimen nannten dagegen bloss 41 Prozent der Franzosen, 32 Prozent der Spanier und 20 Prozent der Briten die Familie (in Grossbritannien wird Religionskunde in der Schule unterrichtet, in Spanien Religion). Der Einfluss der Imame ist im Land der Queen erheblich grösser, da die Muslime (viele Pakistani) zahlreiche Moscheen in der Nähe haben.
Von den Briten besuchen drei von fünf Muslimen die Moschee wöchentlich mindestens einmal – nicht nur für Unterricht, sondern auch für Freizeitaktivitäten. Der krasseste Unterscheid: Dass niemand sie in der Religion unterwiesen hat, sagten in Frankreich 36, in Spanien 26 und in Grossbritannien 19 Prozent der Nicht-Muslime. Bei den Muslimen waren es nirgends mehr als 4 Prozent.

Keine religiöse Bindung

Von den Nicht-Muslimen sagten in Frankreich über 40 Prozent, sie seien ohne Religion. In Spanien fühlen sich 30 Prozent keiner angestammten Religion zugehörig, in Grossbritannien über 50 Prozent! Jene Jugendlichen, die eine Religion bekennen, wurden gefragt, wie stark sie glauben. Das Ergebnis ist deutlich: Während in Frankreich rund 90 Prozent der Muslime sehr oder ziemlich stark glauben, wollten dies nur 55 Prozent der Nicht-Muslime von sich sagen. In Spanien sind es 80 und bloss 30 Prozent, in Grossbritannien 85 und 55 Prozent.
Dies lässt ermessen, wie viele Jugendliche sich in Spanien im Zug der staatlich forcierten Säkularisierung des öffentlichen Lebens seit den 1980er Jahren von der zuvor herrschenden katholischen Kirche abgewandt haben. In den beiden anderen seit langem stark säkularisierten Ländern scheint etwa die Hälfte der einheimischen Jungen zu spüren, dass Religion zum Leben gehört. Weil es nur wenige nicht-praktizierenden Muslime gibt, teilen die Autoren der Umfrage an diesem Punkt die Jugendlichen in drei Gruppen: Muslime, nicht-muslimische Gläubige und Ungläubige.

In Kultur(en) beheimatet

Abgesehen von der Religion erhoben die Autoren der Studie auch, zu welcher Kultur die Jugendlichen sich zugehörig fühlen. Sie konnten mehrere Kulturen angeben. In Frankreich nannten 77 Prozent die französische Kultur, 24 Prozent die arabische, 22 Prozent die europäische und 17 Prozent die afrikanische Kultur. In Spanien nannten 73 Prozent die spanische und 30 Prozent die marokkanische Kultur. In Grossbritannien nannten 42 Prozent die schottische, 35 Prozent die britische, 27 Prozent die englische und 23 Prozent die pakistanische Kultur.

Entfremdung in der Banlieue

Junge französische Muslime identifizieren sich nur zu einem Drittel mit der Kultur des Landes, gegenüber der Hälfte in Spanien und zwei Dritteln in Grossbritannien. Bei den Nicht-Muslimen sind es 50 und zweimal 85 Prozent. Kurz: Die Grand Nation bildet mit ihrem elitären Kulturgehabe weniger Identität als die beiden insularen Gesellschaften – die gelegentlich aufflammenden Unruhen in den Vorstädten zeugen davon.
Zum Thema:
Kommentar: Ungläubige Eltern – haltlose Jugendliche >> verlinken mit Kommentar 00:45
Die FRA-Studie über Diskriminierung, soziale Marginalisierung und Gewalt bei Jugendlichen

Infoblatt deutsch

Datum: 29.10.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet / FRA

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