Hetze gegen Christen und Schwarze in Nordsudan
Seit dem 9. April gelten Menschen, die südsudanesischen Völkern entstammen, im arabisch-islamischen Sudan als Ausländer – auch wenn sie jahrzehntelang da gelebt haben oder gar da geboren wurden. Das sudanesische Parlament hat am 11. April die Generalmobilmachung beschlossen. Am Vortag hatten südsudanesische Truppen die Stadt Heglig, ein Zentrum der Ölförderung, besetzt. Vor dem Parlament in Khartum schwor der Verteidigungsminister Abdel-Rahim Hussein, die Südsudanesen zu vertreiben. In der Hauptstadt stehen die Zeichen auf Krieg.
Hunderttausende sind unerwünscht
Während die Weltgemeinschaft nach Syrien blickt, eskaliert der Konflikt zwischen dem islamischen Sudan und dem Südsudan, der im Juli 2011 die Unabhängigkeit erlangt hat. Sudan und Südsudan streiten um die endgültige Grenzziehung im teils ölreichen Gebiet und um Öleinnahmen. Die Kluft vertieft hat Khartum mit dem Ausländer-Beschluss. Die südsudanesische Regierung in Juba reagierte mit derselben Massnahme: Sudanesen, die im Südsudan leben, wurden zu Ausländern erklärt. Sie könnten gratis provisorische Papiere erhalten; ihre Menschenrechte seien garantiert, hiess es.
Arabisch-islamischer Assimilationsdruck
Bei der Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli 2011 war den Südsudanesen auf sudanesischem Staatsgebiet ein provisorischer Sonderstatus zuerkannt worden. Khartum hat in Verhandlungen eine doppelte Staatsbürgerschaft abgelehnt und darauf bestanden, dass alle Südsudanesen auf seinem Staatsgebiet – die Rede ist von 500‘000 – die sudanesische Staatsbürgerschaft beantragen, d.h. sich vom Südsudan lossagen, oder in den (armen) Süden migrieren.
Massvolle Reaktion in Juba
Am 9. April waren die neun Monate um. An diesem Tag hinderten die Behörden etwa 200 Südsudanesen am Khartumer Flughafen an ihrer Abreise. Sie könnten das Land nur noch mit südsudanesischen Papieren verlassen, hiess es gemäss dem Bericht der Sudan Tribune. Der Flug nach Juba wurde nicht mehr am Inland-, sondern am Ausland-Terminal abgefertigt.
Der südsudanesische Innenminister Magaya rief die Südsudanesen in Khartum auf, kühlen Kopf zu bewahren. Juba suche nicht den Krieg mit dem Norden. Aber die (ölreiche, umkämpfte) Region Abyei gehöre zum Südsudan. «Wir werden die Menschen von Abyei wie andere Südsudanesen behandeln», sagte der Minister.
Hetze gegen Christen im Norden
Christen im Norden fürchten, dass die Hetze radikaler Muslime zu Hassausbrüchen führt. Laut dem Nachrichtendienst Compass Direct hat die Zeitung Al Intibaha die schwarzen Christen aus dem Süden als «Krebszellen im Körper des Sudan, des Landes der Araber und des Islam» verleumdet und die Behörden aufgefordert, sie zu deportieren. «Die hiesigen Medien nehmen uns, die wir noch im Norden leben, zunehmend aufs Korn», sagte ein Christ, der anonym bleiben wollte, dem Nachrichtendienst.
«Warum sind sie noch da?»
Gemäss einer arabischen Zeitung hat der Gouverneur des zentralen Gliedstaats Sennar angekündigt, Südsudanesen «ohne Bedauern» auszuweisen. Banner in Khartums Strassen forderten die Muslime auf, Südsudanesen das Leben schwer zu machen. Unter ihnen sind viele Muslime. «Warum sind sie noch da? Die Regierung sollte sie ausweisen!» lautete ein Banner. Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist, will den Sudan nach dem Abgang des Südens stärker an der islamischen Scharia ausrichten. Christen, die die mit der Scharia verbundene stärkere Marginalisierung nicht ertragen oder hinnehmen wollen und wegziehen, schwächen die Kirchen – was es den Behörden leichter macht, sie zu schliessen.
Ethnische Säuberung mit religiösem Unterton
Nach Berichten rekrutiert Khartum weiterhin Kämpfer für Südkordofan und sendet sie hin, um Angehörige der Nuba-Stämme gefangenzunehmen oder zu töten – im Zuge einer ethnisch-religiösen Säuberung des Gebiets. «Diese Leute tun alles, was sie können, um sicherzustellen, dass das Christentum aus den Nuba-Bergen verschwindet. Kirchen und christliche Schulen sind Zielscheibe sowohl der sudanesischen Armee als auch ihrer Milizen.»
Am 22. und 23. März bombardierten Jets der sudanesischen Luftwaffe den Ort Kauda im Gliedstaat Südkordofan, knapp 200 km von der Grenze zum Südsudan. In Kauda haben sich Flüchtlinge aus den umliegenden Kampfgebieten gesammelt. Laut einem Augenzeugen fielen die Bomben unweit von Schulen und Kirchen, töteten Vieh und zerstörten einige Häuser. Christen in den Nuba-Bergen hielten ihre Gottesdienste sehr früh am Morgen oder spät am Abend, um nicht ein Ziel für die Bomber zu werden, sagte der Beobachter.
Politik der verbrannten Erde?
Neben zehn Kirchen sind nach dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation auch 17 Moscheen dem Erdboden gleich gemacht worden. Ein anderer Bericht zählt 73 zerstörte Dörfer und 48 niedergebrannte Schulen in Südkordofan. Die Zahl der Flüchtlinge und intern Vertriebenen soll 400‘000 erreicht haben, der Mehrheit droht Hunger.
Die Angst der Nuba, dem Fanatismus sudanesischer Muslime zum Opfer zu fallen, nimmt zu. Anfang März hatten Beamte südlich von Khartum die Nuba-Aktivistin Awdeia Ajabana erschossen. Offenbar hatte sie sich eingesetzt für ihren Bruder, der von den Beamten attackiert wurde, weil er im Hauseingang Alkohol trank. Ajabana hatte 2010 fürs Parlament kandidiert.
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte den südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir telefonisch zum sofortigen Abbau der Spannung auf. Kiir müsse alles tun, um Frieden und Dialog als den einzigen Weg hinzustellen. Im Gespräch mit dem UN-Vertreter des Sudan in New York drängte Ban auf die Einstellung militärischer Aktionen.
Chinas Öl-Hunger
Dieser Tage wurde bekannt, dass Südsudan Militärlastwagen aus China bekommt. Beobachter vermuten, dass sich Peking mit dem Südsudan, in dem ein Grossteil der Ölvorkommen der Region liegt, besser stellen will. Weil der Export durch eine Pipeline über sudanesisches Gebiet erfolgt, blockiert Khartum die Auszahlung der Erlöse. Im Dezember 2011 bemühte sich Peking vergeblich um eine Vermittlung zwischen den ‚alten Freunden‘ in Khartum und den ‚neuen Freunden‘ in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Chinesen, die im Südsudan arbeiten, stark gestiegen.
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Datum: 12.04.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet