Das wichtigste Buch

Solid: Die Zürcher Bibel 2007 erscheint in vorerst vier Ausgaben.
Im Chor des Grossmünsters, wo einst Zwingli und seine Freunde übersetzten, orientierten die Verantwortlichen die Medien. Links neben Marianne Stauffacher (TVZ) Peter Schwagmeier, Ruedi Reich, Johannes Anderegg, Herbert Kohler, Esther Straub und Matthias Krieg.
"Die hebräische Bibel nicht geschönt": Peter Schwagmeier (rechts).
Als Kirchenbibel hält sich die Zürcher Bibel 2007 an herkömmliche Sprachformen.
Fürs Bibelstudium in Gruppen: Matthias Krieg mit dem Seminarband, der 25 Themen enthält.
Feministische Lesarten in einem Begleitband: Esther Straub.
Texttreue mit Eleganz verbinden: Herbert Kohler.
Der ‚Reiseführer' von bibel(plus) bietet Bilder, die vor 100 Jahren im Orient gemacht wurden.
Aus dem ehrwürdigen Grossmünsterchor hinaus auf den Markt: Die Zürcher Bibel 2007 tritt gegen eine Vielzahl von populären Übersetzungen an.

Die Zürcher Bibel liegt in neuer Übersetzung vor. Nach 20-jähriger Arbeit wird sie morgen Sonntag im Zürcher Grossmünster feierlich vorgestellt. Am Mittwoch erläuterten Kirchenvertreter und Übersetzer vor den Medien den Weg zum epochalen Werk.

Die Zürcher Bibel, die vielen als die Schweizer Bibel schlechthin gilt, war in den Jahrzehnten vor 1931 zum letzten Mal vollständig übersetzt worden. 1984 beschloss die Zürcher reformierte Kirchensynode eine Neuausgabe. Die nun vorliegende Übersetzung trägt dem Wandel der Sprache, aber auch neuen Erkenntnissen in der Bibel- und Sprachwissenschaft Rechnung. Sie ist, wie die Übersetzer vor den Medien ausführten, in Ton und Wortwahl aktuell, will aber die Texte aus ihrer fernen Zeit zu uns sprechen lassen.

1531 - 1931 - 2007

Die Zürcher Bibel war 1531 die erste vollständige Bibel in deutscher Sprache in der Reformationszeit. Von einem Kreis um den Reformator Huldrych Zwingli übersetzt, wurde sie zum Pfeiler, auf dem die junge Kirche ruhte, zum Stab, an dem das feine Pflänzchen des Schweizer Protestantismus wachsen konnte. Der Zürcher Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich hat in einem grossen Vortrag, den er im vergangenen Winter an sechs Kirchenpflegetagungen hielt, diese schicksalhafte Verbundenheit dargelegt: Ohne Zürcher Bibel keine Zürcher Kirche.

Auch die nun vorliegende Zürcher Bibel will zugleich Volks-, Kirchen- und Studienbibel sein. Das erste Ziel zeigt sich u.a. im Preis, das zweite im Bestreben nach einer geschmeidigen, gottesdiensttauglichen und somit traditionsnahen Textgestalt. Das dritte Ziel stand indes im Vordergrund: "Nicht eine süffige, sondern eine den Originaltexten angemessene Sprache" habe man angestrebt, sagte Ruedi Reich im Grossmünster. "Wir sollten nicht so tun, als hätten wir einen Text, der gestern in der Zeitung stand." Es ging den Übersetzern darum, möglichst wenig zu interpretieren - der Leser soll mit dem Original in seiner Fremdheit konfrontiert werden.

Neue Erkenntnisse umgesetzt

Peter Schwagmeier, der die AT-Übersetzer vertrat, hob die neue Version von der früheren, 1931 fertiggestellten ab (damals existierte der Staat Israel noch nicht). Damals habe man einen hebräischen Text angenommen, der an "sehr viel mehr Stellen, als man gemeinhin meint", rekonstruiert oder ohne Textbasis verändert worden sei. Funde wie in Qumran und neue Erkenntnisse haben die Wissenschaft revolutioniert; den Wissenschaftlern, die an die Revision gingen, blieb nichts Anderes übrig, als das gesamte AT neu zu übersetzen - ein Grund für die Verzögerung, mit der die Zürcher Bibel auf den Markt kommt.

Die Übersetzer haben sich laut Schwagmeier bemüht, "die hebräische Bibel nicht schöner zu machen". Sätze werden mehr mit ‚und' aneinander gereiht. Die Texte sollen ohne Deutung daherkommen; Stellen, an denen der Sinn des Hebräischen nicht klar ist, sind "mehrdeutig, manchmal sogar uneindeutig belassen". Die Übersetzung solle eine Grundlage für die weitere Diskussion schaffen.

Nicht in den Alltag einzupassen

Der Germanist Johannes Anderegg, der die Theologen beriet, hob hervor, man habe die hebräische Bildersprache wenn möglich beibehalten ("Meine Nieren jubeln" Sprüche 23,16 - den alten Israeliten galten die Nieren als Sitz der Emotionen) und die Texte bewusst nicht in die heutige Alltagssprache übersetzt. Begriffe, in denen sich die gesellschaftliche Realität des frühen 20. Jahrhunderts spiegelte, wurden ersetzt: Statt "entehrten" Frauen ist nun von Vergewaltigten die Rede. In der Neuübersetzung wird nicht mehr "gewandelt", sondern gegangen oder gelaufen. Der NT-Verantwortliche Herbert Kohler sagte, man habe "die Genauigkeit der Gedanken mit der Eleganz der Sprache" zusammenbringen wollen. "Die biblischen Texte sind hochartifiziell und das soll man auch in der Übersetzung spüren."

"Selig die Gewaltlosen"

Wie dies gelungen ist, werden die Leserinnen und Leser bewerten müssen. Die ersten Seligpreisungen der Bergpredigt (Matthäus 5,3-9) lauten:

Selig die Armen im Geist - ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden - sie werden getröstet werden.
Selig die Gewaltlosen - sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit - sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen - sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig, die reinen Herzens sind - sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften - sie werden Söhne und Töchter* Gottes genannt werden.

Die Worte des Paulus über den Anbruch der neuen Schöpfung im Leben der Christen (2. Korinther 5,17-19):

Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung: das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Alles aber kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Denn ich bin gewiss: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat.

Einführung zu jedem Buch - mit zahlreichen Vermutungen

Neu ist jedem Buch der Bibel ist eine Einführung vorangestellt, welche sich typographisch in keiner Weise vom Text selbst unterscheidet. Hier geben die Herausgeber diverse hilfreiche Auskünfte. Zugleich beanspruchen sie die Deutungshoheit, die sie sonst dem Leser überlassen, für sich: Sie geben Theorien der bibelkritischen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts wieder, die auf die Auflösung des Textganzen hinauslaufen. (Der spekulative Charakter dieser Ansätze zeigt sich an den im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörtern.)

So heisst es zu Jesaja: "Auf den historischen Propheten Jesaja geht wohl nur ein Teil der Texte in Jes 1-39 zurück. Das übrige Textgut in Jes 1-39 haben jüngere Tradenten verfasst, die die Botschaft Jesajas als gültiges Gotteswort erkannt und über mehrere Jahrhunderte immer wieder neu ausgelegt und fortgeschrieben haben…" Mit dem Buch Ester liege "offenbar keine Darstellung konkreter geschichtlicher Ereignisse vor, sondern eine Novelle oder romanhafte Erzählung". Weil sich die letzten Kapitel des Danielbuchs auf die Unterdrückung der Juden um 170 vor Christus beziehen, sind sie, so die Einführung, erst in jener Zeit entstanden - als könnten Propheten nicht über Jahrhunderte vorausschauende Aussagen machen.

"…wenig historisch Erwiesenes"

Ebenso wird das Markusevangelium auf die Zeit nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 datiert, weil "der Verfasser Kenntnis der dramatischen Ereignisse hatte" (gemäss dem Text des Evangeliums, 13,2, prophezeite Jesus die Zerstörung). Der thematische Brüche aufweisende 2. Korintherbrief soll "vermutlich aus verschiedenen Fragmenten von Briefen des Apostels zusammengestellt" worden sein.

Im Epheserbrief, der kaum persönliche Mitteilungen enthält, "will offenbar der Verfasser … gar nicht den Anschein erwecken, er sei Paulus, vielmehr will er in der Zeit nach Paulus (75-90 n.Chr.) im Namen des Paulus sprechen, aus den situativen Überlegungen, Mahnungen und Ratschlägen, wie sie in Paulus' Briefen vorliegen, ein Fazit ziehen und sagen, wie Paulus das Wesen der Kirche beschrieben hätte, wenn er dazu gekommen wäre". Die Zürcher Bibel 2007 hat auch ein Glossar von über 150 Seiten. Der Artikel ‚Kreuz' beginnt mit dem Satz: "Über das Leben Jesu ist wenig historisch Erwiesenes bekannt…"

Grün, rot, braun, knallig: Vier Ausgaben…

Die Zürcher Bibel gibt es in vier Ausgaben, alle einspaltig: als handliches Buch (grün), als Kunstbibel mit 20 Schriftbildern von Samuel Buri, als braune Bibel mit eingelegter Trauurkunde (10 % grössere Schrift) und als rote Schulbibel mit farbigem Bild- und Informationsteil. Der Theologische Verlag Zürich startet mit einer Gesamtauflage von 40'000 Exemplaren. Den Text gibt es auch auf CD-ROM. Weitere Ausgaben, die besonders Kinder und Jugendliche ansprechen, werden angedacht.

… und Bibel(plus)

Die Zürcher reformierte Landeskirche, welche die neue Bibelausgabe finanziert hat (Kosten: vier Millionen Franken), gibt ihr mit dem Programm ‚bibel(plus)' mehrere Wegbereiter mit. Unter Leitung von Matthhias Krieg, dem Leiter der Erwachsenenbildung, wurden ein kompakter Reiseführer, ein Seminar-Buch mit 25 Themen und fünf Audio-CDs mit Texten erstellt. Ein dreibändiger theologischer Kommentar (knapp 2500 Seiten) soll in einigen Monaten folgen.

Weiterführende Links:
Vernissage der Zürcher Bibel am Sonntag, 24. Juni 2007
Hintergrundinfos zur Zürcher Bibel
Ausgewählte Textstellen
Der Prospekt zur Zürcher Bibel und ihren Begleitwerken
Informationsdossier des Verlags zur neuen Übersetzung der Zürcher Bibel

* In diesem Satz ist das griechische ‚huioi' aufgrund feministischer Einsprache erweitert übersetzt worden. Von den feministischen Vorschlägen, die von der 1998 eingerichteten Frauenlesegruppe kamen, übernahmen die Übersetzer wenig in den Text. Die Gruppe, im Grossmünster vertreten durch Esther Straub, veröffentlicht ihre Überlegungen zu einer "geschlechtergerechten" Übersetzung des Neuen Testaments mit zahlreichen feministischen Lesarten in einem eigenen Band im selben Verlag: "…und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein." - Die neue Zürcher Bibel feministisch gelesen.

Artikel zum Thema: "Paulus wieder lesbar machen"

Datum: 23.06.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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