Neue Spekulationen um angebliche Jesus-Ehe
Dan Browns Da Vinci-Code lässt grüssen. Am 18. September 2012 stellte Karen King, Kirchenhistorikerin an der Harvard Divinity School, an einer Tagung in Rom das Bild eines Papyrusstücks vor. Eine der Zeilen in koptischer Schrift wird übersetzt: «…Jesus sagte zu ihnen: Meine Frau…» King selbst sieht dies nicht als Beleg dafür an, dass Jesus von Nazareth verheiratet war. Doch nach Dan Browns Bestseller von 2003, der Maria Magdalena an die Seite von Jesus stellte, ist der Damm gebrochen, der früher Medien (und Wissenschaftler) von Spekulationen abhielt.
Nicht Teil eines «Evangeliums»
Dr. Peter Williams, Leiter des renommierten Tyndale-Zentrum für Bibelforschung in Cambridge, mahnt in einem Kommentar zur Zurückhaltung. Für ihn ist der Fetzen nicht Teil eines apokryphen «Evangeliums von Jesu Frau», wie es Karen King nennt, sondern ein «Fragment über Jesu Beziehungen». Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Papryrus zu einer Schrift gehört, die als «Evangelium» im Umlauf war. Zudem werden darin nicht nur eine Frau namens Maria, sondern mehrere Personen erwähnt.
Ungeklärte Herkunft
Karen King verschweigt die Identität des privaten Sammlers, der den Papryrus besitzt. Sie kann keine Angaben zum Ort und den Umständen der Entdeckung machen. Tyndale-Forscher halten es für möglich, dass der Fetzen aus der Antike stammt und echt ist. Dr. Christian Askeland, Experte für koptische Handschriften, der selbst an der Römer Tagung teilnahm, stellt die Echtheit in Frage. Er hat «keinen Zweifel, dass dieses Fragment nicht Teil irgendeines literarischen Dokuments war», und tippt vorerst auf eine Fälschung.
Entstehungszeit ungewiss
Die Worte auf dem 8 mal 4 cm grossen Papyrusstück sind koptisch, die Schrift ist griechisch mit einigen Sonderzeichen. Das Koptische entwickelte sich erst im 3. Jahrhundert. Im 7. Jahrhundert kamen Papyri ausser Gebrauch. Dies liefert den Rahmen für die Datierung, die wegen des Mangels an vergleichbaren Stücken laut Williams unsicher ist. Karen King geht vom vierten Jahrhundert aus. Mit Anne Marie Luijendijk von der Universität Princeton vermutet sie im lückenhaften Text die Abschrift eines ursprünglich in Altgriechisch verfassten Evangeliums aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Dies ist laut Peter Williams spekulativ. «Alles was wir wirklich wissen, ist, dass der Text mindestens so alt ist wie das Manuskript.»
Sex und Ehe in der frühen Kirche
Auch inhaltlich bleibt sehr viel offen. Interessanterweise gibt Karen King für die Stelle, die Maria erwähnt («Maria ist würdig»), in der Fussnote als Alternative die gegenteilige Übersetzung: «Maria ist nicht würdig». Für Peter Williams, den Neutestamentler aus Cambridge, weisen die unvollständigen Sätze in eine Zeit, als das Christentum populär geworden war und sich allerlei Nebenströmungen bildeten.
Dr. Simon Gathercole, Experte zu nachbiblischen apokryphen Evangelien in Cambridge, weist darauf hin, dass Karen King selbst keine Aussage über den historischen Jesus von Nazareth im Fragment behauptet. Gathercole sieht in den Sätzen – falls der Papyrus echt ist – «eine faszinierende Entdeckung, die uns Einblick gibt in Debatten um Sex und Ehe in der frühen Kirche und die Art und Weise, wie Jesus in einer bestimmten Debatte ins Spiel gebracht werden konnte».
Datum: 20.09.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet