Mittendrin und immer dabei
Im Frühjahr 2001 wurde Ruth und Hansruedi Schranz nach zwei Söhnen noch eine Tochter geschenkt. Die Schwangerschaft war gut verlaufen und die Geburt bezeichnet Ruth als ihre einfachste. Stefanie war ein Wunschkind, die Freude riesig! Die Stimmung sollte sich bald ändern. «Ein Arzt äusserte den Verdacht, dass Stefanie das Down-Syndrom haben könnte.» Ruth war irritiert. Das Thema war für sie weit weg und wirkte bedrohlich. Sie informierte Hansruedi per Telefon. Er arbeitete in einem Wohnheim, wo auch Menschen mit Down-Syndrom lebten. Für ihn war das Thema weniger bedrohlich. Es gehört zu seinem Charakter, Situationen so anzunehmen, wie sie sind. Rückblickend sagt Hansruedi jedoch, dass er damals kaum eine Vorstellung davon hatte, was das für ihn als Vater bedeuten würde.
Gehört der Schmerz zum Leben?
«Ich hatte mich auf ein gesundes Mädchen gefreut und jetzt war alles anders…» Ruth war traurig und schämte sich zugleich für ihre Gedanken. «Später half mir das Vorgehen einer anderen betroffenen Mutter, die zuerst um das gesunde Kind trauerte, um dann das beeinträchtigte anzunehmen.» Stefanie zu stillen, war für Ruth aufgrund des schwachen Saugreflexes ihrer Tochter eine Herausforderung. «Fast Tag und Nacht habe ich mein Mädchen an die Brust genommen», erinnert sich Ruth. «Dabei hat mich die Verantwortliche der Mütter- und Väterberatung sehr gut unterstützt.» Heute glaubt sie, dass die gute Bindung zu ihrer Tochter auf diese Zeiten zurückgeht. Noch immer freut sich das Elternpaar über jeden Fortschritt von Stefanie. Für Hansruedi stellten sich zugleich tiefe Fragen in Bezug auf seinen Glauben: «Dürfen wir ein Leben ohne Schmerz erwarten?»
Grund zur Dankbarkeit
Ruth sammelte viele Informationen zum Thema Trisomie 21. «Ein Buch mit Lebensberichten betroffener Familien hat mir besonders geholfen», sagt sie. Heute kann sie selbst von ihren Erfahrungen berichten und anderen eine Hilfe zu sein. Mehrere Menschen, die Familie Schranz nahestehen, unterstützen sie damals wie heute. Dafür sind Ruth und Hansruedi sehr dankbar. Da Kinder mit Down-Syndrom gesundheitliche Probleme haben können, wurde Stefanie gründlich untersucht. Dabei stellte man einen Herzfehler fest, der jedoch nicht schwerwiegend ist und für Stefanie keinerlei Einschränkung bedeutet. «Ich würde Stefanie als gesund bezeichnen», sagt Hansruedi über seine Tochter. «Sie selbst ist sich ihrer Beeinträchtigung nicht bewusst und nimmt das Leben, wie es ist.»
Umsorgt und unterstützt
In einer Kindertagesstätte wurde Stefanie auf den Eintritt in den Regelkindergarten vorbereitet. Anschliessend besuchte sie eine Regelschule, wo sie im Rahmen eines Integrationsprojektes auch Unterstützung erhielt. Dass Stefanie nach dem Wechsel in die Sonderschule selbständig mit dem Postauto zur Schule fahren konnte, war für alle ein Highlight. Die Unterstützung durch das Buspersonal und manchmal auch durch Leute aus dem Dorf halfen Ruth und Hansruedi, Stefanie zuversichtlich ziehen zu lassen. Bei Ausflügen oder beim Skifahren, auf dem Tandem oder beim Schulsport – Stefanie liebt es, dabei zu sein. Ihre grosse Leidenschaft gilt der Jungschar. Schon früh war sie in der Gruppe integriert und wurde von den jungen Leitern bestens betreut. Sogar an den Lagern, wo sich auch ihre Brüder um sie kümmerten, konnte sie teilnehmen. Stefanie ist bis heute ein glückliches Mitglied der Jungschar und der Sonntagsschule. Grosse Freude bereiten ihr auch die Zeiten auf der Alp. Jeden Sommer besucht sie jeweils für mehrere Tage verschiedene Alpgebiete. «Das gibt uns als Eltern die Möglichkeit, auch einmal etwas zu zweit zu unternehmen», sagt Ruth.
Bis heute kann ihre Tochter nicht lesen und schreiben, glänzt hingegen mit ihrem ausgeprägten Orientierungssinn. Stefanie arbeitet im selben Betrieb wie Hansruedi, wo sie nach einem klaren Wochenplan einfache Arbeiten verrichtet. Ab und zu treffen sich Vater und Tochter in der Pause.
insieme21
Wertvolle Hilfe erhielt die Familie Schranz durch den Verein insieme21, bei dem sie heute selbst Mitglied ist. Hier können Kontakte geknüpft und Erfahrungen ausgetauscht werden. Auch bei der Suche nach einem geeigneten Zahnarzt erhielt sie über das Netzwerk hilfreiche Tipps. Hansruedi stellte dankbar fest, dass es viele Familien mit einem Kind mit Down-Syndrom gibt. In vielerlei Hinsicht hätten sie in den vergangenen Jahrzehnten ein glückliches und erfülltes Familienleben geführt. Die 22-jährige Stefanie gehört mit ihrer einfühlsamen Art einfach dazu. Und doch kommen immer wieder die Momente, in denen Ruth und Hansruedi die Beeinträchtigung spüren. Dabei hat das Ehepaar Schranz eine wichtige Lektion gelernt: «Auch wenn Fragen bleiben, Gott ist die beste Zuflucht.»
Über insieme21
Der Verein insieme21 engagiert sich in regionalen Sektionen für Menschen mit Trisomie 21 und deren Angehörige. Die Teams unterstützen betroffene Familien, vermitteln Informationen und Kontakte mit anderen Familien. Erfahrungen werden ausgetauscht und Freundschaften geknüpft. Als Mitglied von insieme21 auch europaweit den Austausch zwischen Forschung, Fachpersonen und Eltern. Ziel ist eine inklusive Gesellscchaft, in der Menschen mit Trisomie21 ernstgenommen und bestmöglich unterstützt werden.
Haben Sie Fragen oder möchten Sie Teil werden? Mehr Informationen finden Sie hier: insieme21.ch
Datum: 19.10.2023
Autor:
Markus Richner-Mai
Quelle:
Hope Regiozeitungen