Renate Zahn

Ein Herz so weit wie die Welt

Renate Zahn
Renate Zahn aus Trogen hat in vielen Ländern gelebt. Nach Jahren schwerster Depressionen wurde sie gesund. Seither setzt sie sich für Menschen in Not ein und bringt ihnen Hoffnung.

«Ich kannte meinen Vater kaum», blickt Renate zurück auf ihre Kindheit im Bernbiet. «Er war einige Jahre inhaftiert. Wenn er die Familie besuchte, verging er sich an mir. Ich war damals zwischen vier und elf Jahren alt.» Auch andere Männer missbrauchen das Mädchen. Schon früh lernt Renate durch ihre Mutter Jesus kennen. Diese betet jeweils mit ihren Kindern. Da nimmt sich ihr Töchterlein vor, später einmal Menschen in der ganzen Welt von ihm zu erzählen. Dennoch stellt Renate fest: «Es war, als sässe eine schwarze Mütze auf meinem Kopf. Ich konnte Jesus nicht wirklich kennenlernen, sehnte mich aber sehr nach ihm.»

Renate absolviert das Lehrerseminar und beginnt zu unterrichten. Doch immer wieder wird sie von Angstzuständen und Depressionen geplagt. Mit 22 Jahren landet sie auf der geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik Münchenbuchsee. Drei Jahre verbringt Renate in solchen Häusern, sucht Hilfe in vielen Therapien. Sie unternimmt einen Suizidversuch, der zum klinischen Tod führt. Eine Oberschwester vollzieht ein unheimliches Ritual mit ihr. Schliesslich wird sie entlassen und fängt mithilfe von Medikamenten wieder an zu arbeiten. Wenn die Depressionen zu stark sind, muss sie sich mehrmals jährlich wieder in Kliniken behandeln lassen.

«Das will ich auch!»

1976 besucht Renate mit einer gläubigen Freundin zusammen eine Ferienwoche mit Christen im Tessin. Die Freundin strahlt so viel Freude und Frieden aus, dass Renate entscheidet: «Das will ich auch!» Daraufhin betet die Freundin mit ihr. «Endlich spürte ich Erleichterung – und eine grosse Freude kam in mein Herz», erinnert sich Renate. Sie ist sich sicher: «Das war Jesus! Er hat mich gesund gemacht, jetzt kann ich ihn kennenlernen.» Nach und nach lernt sie, ihr Vaterbild zu revidieren, ihrem leiblichen Vater zu vergeben und dem himmlischen Vater zu vertrauen. «Es lief längst nicht immer alles glatt», gesteht die heute 79-Jährige. «Die Ängste kamen zurück, auch der Drang, irgendwo hinunterzuspringen…» Das Leiterpaar der Organisation, für die sie arbeitet, betet erneut mit ihr. Auch um Befreiung von dunklen Mächten, deren Gegenwart sie deutlich spürt. Nun wird ihr Konfirmationsspruch, der Bibelvers aus dem Buch Jesaja, Kapitel 43, Vers 1, real: «Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst mir.» Renate bekräftigt: «Ich habe die Realität und Macht von Jesus erlebt. Er vergibt Sünde, er heilt und erlöst. Die Kraft, die Jesus von den Toten auferweckt hat, lebt in uns – das ist echte Hoffnung!»

«Warum kommst du zu uns?»

Geheilt reist die Single-Frau nun in den Balkan, lernt dessen Sprachen und bildet Sonntagsschullehrer aus. Auch sie erzählt Kindern gern biblische Geschichten, schenkt Menschen in Roma-Siedlungen Aufmerksamkeit und Liebe. «Warum kommst du aus der reichen Schweiz zu uns?», wird sie immer wieder gefragt. Ihre Antwort: «Weil ihr erfahren sollt, dass Gott euch liebt. Er will euer Freund sein und euch Zukunft schenken.» Renate sieht viel Unrecht in ihrem Umfeld, Menschen ohne Perspektive. Kinder werden vernachlässigt, junge Leute finden keine Arbeit, Sorgen werden mit Alkohol betäubt. Sie wird nicht müde, von ihrer eigenen Freundschaft mit Jesus zu erzählen und davon, wie er ihr Zuversicht schenkt.

«Sie sind eine Spionin!»

Das Engagement der couragierten jungen Frau bleibt nicht unbemerkt. Mehrmals wird sie auf Polizeiposten gebracht und als mutmassliche Spionin verhört. Die serbischen Behörden verdächtigen sie, im Auftrag Kosovos politisch aktiv zu sein. Weil sie beide Sprachen spricht, versteht sie alles, was vor Gericht verhandelt wird. Die mutige Frau erklärt, dass sie für niemanden spioniere, sondern mit ihrer Botschaft der Liebe und Nähe Gottes Trost und Hoffnung vermitteln wolle. Renate hat keine Angst vor den Polizisten, sondern vertraut darauf: «Jesus holt mich hier raus.» Als ihr in Mazedonien die Verlängerung des Visums verweigert wird, lässt sie sich von Gott zu notleidenden Menschen in anderen Ländern führen.

«Kommt wieder!»

Ab und zu erholt sich Renate in der Schweiz von ihren Einsätzen, dann lebt sie bei Freunden. So lernt sie das schöne Appenzellerland kennen und mietet 2021 hier eine kleine Wohnung. Mit 75 reist sie noch einmal nach Haiti, um für einige Wochen mit ihrer Freundin und langjährigen Mitarbeiterin zusammen im Waisenhaus zu helfen. Renate spürt viel Dunkelheit und Angst bei den Menschen. Unheimliche Voodoo-Rituale gehören zum Alltag, Ausländer laufen Gefahr, entführt zu werden, um Lösegeld einzubringen. Die Seniorin erzählt: «Wir durften nur in Begleitung des Chauffeurs in den Lebensmittelladen. Er kam mit hinein und brachte uns wieder zum Waisenhaus – sonst hielten wir uns immer auf dem eingezäunten Areal auf. Heute noch herrscht eine bedrückende Atmosphäre auf der Insel, viele Menschen sind traumatisiert, leiden unter Gewalt und Korruption.» Allein dadurch, dass Renate der Köchin im Waisenhaus auf Augenhöhe begegnet, blüht diese sichtbar auf. «Kommt wieder – wir brauchen euch!», bittet man die beiden Frauen, als sich diese verabschieden.

«Gott sieht die Not»

«Ich lade meine Last über das Elend der Menschen auf Haiti bei Jesus ab. Ich muss sie nicht tragen», erklärt Renate. Ihre Aufgabe sei es, Hoffnung zu vermitteln in hoffnungslosen Situationen. «Gott sieht die Not der Menschen – ich vertraue darauf, dass er ihnen nahe ist.» Sie weiss: «Einen Mann oder Kinder könnte ich verlieren – Jesus bleibt immer bei mir.» Dankbar hält sie fest: «Mein Leben ist der beste Beweis, dass Jesus heilen und neue Perspektiven schenken kann.»

Zur Person:

Berge oder Meer:
Ich liebe beide sehr, ein bisschen mehr die Berge.

Käse oder Fleisch?
Bei mir gibt es jeden Tag etwas Käse, aber ab und zu auch Fleisch.

Altbekanntes oder Neues?
Ich bin immer offen für Neues.

Glas eher halbvoll oder halbleer?
Da ich in Jesus immer Hoffnung und Lösungen sehe, ist mein Glas eindeutig immer halbvoll.

Heimlich altern oder riesige Geburtstagsparty?
Mein 80. Geburtstag wird gleichzeitig mein 50. Jubiläum, unterwegs mit Jesus sein. Das soll ein Fest zu seiner Ehre sein für all das, was er für mich und durch mich getan hat.

Datum: 04.02.2025
Autor: Mirjam Fisch
Quelle: Hope Regiozeitung