«Ich rede während den Rennen viel mit Gott»
Hope Frutigland: Jonathan Schmid, hast du schon immer von einer Läuferkarriere geträumt?
Jonathan Schmid: Nein, ehrlich gesagt habe ich nie davon geträumt. Natürlich war ich als Kind fasziniert von Martin von Känel und seinen Leistungen. Er war damals einer der besten Bergläufer in unserer Region. Mittlerweile darf ich mit Martin zusammenarbeiten und von seinen Erfahrungen profitieren.
Wenn es nicht immer dein Traum war, ein Läufer zu werden, wie kam es dennoch dazu?
Manchmal durften wir am Montagnachmittag, statt in der Schule zu bleiben, eine Runde rennen. Ich war immer einer der Schnellsten. Ein Kollege hat mich daraufhin überredet, beim Niesen-Treppenlauf mitzumachen. Dort konnte ich ohne Training weit vorne mithalten. Nachdem ich mit strukturiertem Training anfing, konnte ich nach einem Jahr bereits die ersten Siege verzeichnen. Es war und ist nicht mein oberstes Ziel, ein Rennen zu gewinnen, wenn ich mich anmelde. Ich möchte nur herausfinden, ob ich es ins Ziel schaffe und was alles möglich ist.
Welche Werte haben dir deine Eltern mitgegeben?
Dass man nicht nur auf sich schaut, sondern auf andere Rücksicht nimmt. Dass man zufrieden ist mit dem, was man hat. Und natürlich die Liebe zu Gott, das Vertrauen, dass er uns führt und leitet – egal was im Leben auf uns zukommen wird.
War für dich immer klar, dass Jesus zu deinem Leben gehört oder gab es da auch Widerstände? Wir besuchten als Kinder immer die Sonntagsschule und meine Eltern haben uns den Glauben von klein auf glaubwürdig vorgelebt. Für mich war immer klar, dass ich Gott brauche und ein Leben mit ihm führen möchte.
Erlebst du Gott auch während den Wettkämpfen?
Ich rede während den Rennen viel mit Gott und bitte ihn um Durchhaltewillen und Kraft. Ich bin überzeugt: Gott möchte uns in jeder Lebenssituation helfen.
Wie sprichst du mit anderen Läufern über deinen Glauben?
Ich gehe recht offen damit um und betone häufig, dass ich es als Geschenk Gottes betrachte, hier am Start zu stehen. Viele würden es als Glück bezeichnen, aber ich bin davon überzeugt, dass Gott dahintersteht. Wir können rennen und haben auch die Mittel, das Startkapital zu bezahlen. Dank dem Laufsport habe ich immer wieder Gelegenheiten, für andere Läufer zu beten und ihnen von meinem Glauben zu erzählen.
Was gibt dir nach einem schlechten Rennen neue Motivation?
Ich war mal als Titelverteidiger bei einer Schweizermeisterschaft dabei und konnte das Rennen «nur» als Zweiter beenden. Das hat mich aber nicht gross beschäftigt. Ganz ehrlich: Die Leute in meinem Umfeld waren mehr enttäuscht als ich. Ich mache mir selbst nicht den Druck, dass ich jedes Rennen gewinnen muss. Denn ich geniesse die Natur und die Berge. Aus diesem Grund habe ich selten bis nie Down-Phasen.
Wie bringst du Sport, Familie und die Arbeit unter einen Hut?
Meine Frau Michèle hat viel Verständnis und unterstützt mich auch sehr. Ich arbeite nur 80 Prozent, damit ich mein Trainingspensum absolvieren kann. Pro Woche absolviere ich jeweils fünf Trainings à ein bis zwei Stunden. Mehr Zeit möchte ich nicht investieren. Solange ich mit diesem Aufwand vorne mitlaufen kann, bin ich zufrieden.
Lass uns noch etwas über deine Heimat sprechen: Dein Heimatort ist Adelboden und du lebst auch mit deiner Familie in Adelboden. Wie stark fühlst du dich verbunden?
Ich freue mich sehr, in Adelboden zu wohnen. Wir haben eine wunderschöne Berglandschaft und mit den vier Jahreszeiten viel Abwechslung. Das ist für mich ein riesiges Geschenk. Ich schätze das alles sehr.
Du hast bestimmt im Frühling 2022 die Sendung «SRF bi de Lüt» über Adelboden gesehen. Diese war stark umstritten – auch unter den Einheimischen. Was ist deine Meinung dazu?
Wenn es das eigene Dorf betrifft, ist man automatisch sensibler. Die Spaltung zwischen den «Frommen» und den «Nichtfrommen» wurde in dieser SRF-Sendung schon extrem dargestellt. Aber das ist nichts Neues; die Medien stellen nun mal vieles überspitzt dar. In der Folge wurde auch im Läuferumfeld darüber gewitzelt, dass man in Adelboden nur Cordon Bleu essen und die Kirche besuchen könne. Aber alles halb so wild. Man muss es auch etwas mit Humor nehmen. Ich konnte die Leute nicht verstehen, die sich darüber aufregten.
Adelboden wurde als sehr konservatives Dorf charakterisiert, wie stehst du zu dieser Einschätzung?
Ich bin schon der Meinung, dass wir Adelbodner konservativ eingestellt sind. Aber ich empfinde das als eine positive Eigenschaft. Und die Adelbodner Jugend ist nach meinem Empfinden spürbar aufgeschlossener.
Der Name dieser Zeitung lautet «Hope», also Hoffnung. Als Vater von zwei kleinen Kindern; hast du noch Hoffnung für diese Welt?
Mein Glaube wäre ziemlich klein, wenn ich mir den Kopf über die Zukunft meiner Kinder zerbrechen würde. Ich glaube fest daran, dass Gott auch für ihr Leben einen Plan hat und für sie sorgen wird.
Was bedeutet Hoffnung für dich?
Meine Hoffnung ist, dass ich einmal an einen Ort komme, wo es weder Kriege noch Naturkatastrophen oder irgendetwas Negatives gibt.
Jonathan, herzlichen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Einer meiner Lieblingsplätze in Adelboden:
Der Bunderspitz
So entspanne ich mich, nach einem anstrengenden Tag:
«Häre höckle u äs Bierli trinke» (Hinsetzen und ein Bier trinken, meistens alkoholfrei)
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
SRF-Sport-App
Mein Lieblingsbuch:
Die Biografie von Skyrunning-Weltmeister Kilian Jornet
Datum: 29.09.2022
Autor:
Lydia Germann
Quelle:
Regiozeitung-Hope Frutigland