Vorsicht, zerbrechlich!

Es lohnt sich, unsere Wut unter die Lupe zu nehmen

Es lohnt sich zu lernen, die Wut zu kontrollieren!
An starken Emotionen wie Wut und Zorn scheiden sich die Geister. Während die einen sie für unbedingt notwendig halten, sehen die anderen sie ausschliesslich als schädlich an. Dabei sind Extreme fehl am Platz.

«Ein Wutausbruch zeigt, dass du dich nicht richtig im Griff hast.» An dieser Aussage ist etwas dran, doch stimmt das Klischee, dass eine emotionale Reaktion immer schwächer ist als eine kühle verstandesgemässe Antwort? Längst unterstreichen wissenschaftliche Studien, dass Menschen, die sich weniger emotional äussern, anschliessend kaum bereit sind, sich zu engagieren, um Missstände zu verändern. Ist dann vielleicht nur Wut negativ, aber Zorn ein akzeptableres Verhalten? Das mag so klingen, wenn Wut als ziellos und unkontrolliert und Zorn als konkrete Reaktion auf Ungerechtigkeiten beschrieben wird. Das Problem ist nur: So trennscharf lässt sich das nicht unterscheiden. Spätestens als Jähzorn ist der Zorn problematisch und Paulus nennt ihn als «Werk des Fleisches» in einem Atemzug mit Zauberei und Mord. An anderer Stelle kann sich der Apostel selbst jedoch herrlich aufregen und seinem Zorn freien Lauf lassen… Willkommen in der Wirklichkeit!

Genaue Definitionen von Zorn und Wut bringen uns hier kaum weiter. Aber die Begleitumstände unserer Wut sagen viel zu unserer Haltung aus – und helfen uns, das Ganze differenzierter zu betrachten, ohne die Gefühle an sich abzulehnen.

Der andere hat meine Wut verdient

Das sagen und denken wir oftmals, wenn sich Zorn in uns breitmacht. Tatsächlich ist Wut ein guter Indikator dafür, dass wir eine Ungerechtigkeit sehen, mindestens eine Unstimmigkeit. Und da ist es völlig legitim, zu sagen: «Ich bin wütend.» Wenn wir das jetzt noch betonen und darüber nachdenken, wie wir es dem anderen heimzahlen, uns rächen können, «weil er es verdient hat», dann legen wir den Fokus auf die andere Person und die Strafe, die sie unserer Meinung nach verdient hat. Es ist ein grosser Unterschied, ob ich jemandem sage, dass ich wütend bin, oder ob ich meine Wut als Vorwand benutze, um jemanden herabzusetzen und schlecht zu behandeln. Im Zusammenhang mit einer wahrhaftigen Lebensperspektive erklärt Paulus im Epheserbrief: «Zürnt ihr, so sündigt nicht; die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn!» Wut ist gut, doch sie hat ihre Grenzen da, wo sie den anderen beschädigt, sich rächen will und auch zeitlich einen immer grösseren Raum einnimmt.

Ich kann nicht anders

Wut ist ein vorherrschendes Gefühl, neben dem (erst einmal) nichts anderes Platz hat. Doch das muss nicht so bleiben. Wenn wir uns zum Opfer unserer eigenen Wut machen – «Ich kann nicht anders!» – oder sogar unterstreichen, dass das zu unserem Wesen gehört – «So bin ich nun einmal!» –, dann leugnen wir, dass es andere Lösungswege für unsere Aufregung gibt. Wir könnten erst einmal auf Abstand zu Personen gehen, auf die wir wütend sind, und eine Pause machen. Wir können für sie (und uns) beten. Wir können das konstruktive Gespräch suchen. Wir können den Rat anderer in Anspruch nehmen. All das und noch viel mehr soll eine berechtigte Wut nicht unterdrücken. Es zeigt aber, dass Wut keine Welle ist, die über uns hinwegschwappt und uns ohne andere Möglichkeiten mitreisst. Es gibt sehr wohl Alternativen.

Ich explodiere, deshalb muss es jetzt raus

Wenn wir wütend sind, suchen wir in der Regel die direkte Konfrontation – mindestens wollen wir das Thema so schnell wie möglich ansprechen. Das Problem liegt darin, dass sich schnelles Ansprechen und tatsächliches Lösen von Schwierigkeiten meist ausschliessen. In aufgeheizter Atmosphäre oder müde von einem langen Tag ist es fast unmöglich. Warum der Druck? «Darum, meine geliebten Brüder, sei jeder Mensch schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn», erklärt Jakobus in seinem Brief. Wut ist kein Notfall, der schnelles Handeln erfordert. Sie ist eher ein Warnzeichen, auf das wir überlegt reagieren können. Und das braucht Zeit. Dabei ist es allerdings genauso wichtig, Reizthemen nicht auf die lange Bank zu schieben. Wenn wir sie verdrängen, holen sie uns später wieder ein.

Wut ist Macht

Das erproben schon Dreijährige, die mit Geschrei ihren Willen durchsetzen wollen. Schwierig wird es erst, wenn sie das mit 30 immer noch als ihr Mittel zum Überzeugen einsetzen. Aggression wirkt vielfach stark. Deshalb schlagen wir mit der Faust auf den Tisch oder werden laut. Niemand sagt, dass wir uns alles bieten lassen sollen, aber ist das nicht auch ohne grosse Machtdemonstration möglich? Wie passt Wut auf Dauer mit Liebe zusammen, die laut Paulus «langmütig und gütig [ist …], sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu; […] sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles»? Letztlich entfaltet nicht Wut die wahre Macht, sondern scheinbar ohnmächtige Liebe.

Ich werde anders wütend

Eine pauschale Ablehnung von Zorn und Wut funktioniert nicht. Der katholische Katechismus führt sie zwar bis heute als einzige der menschlichen Basisemotionen unter den «Hauptsünden», doch es fehlen nähere Erklärungen. Geht es nur um wütendes Handeln oder ist bereits das Gefühl falsch? Ist der öffentliche Zornausbruch gemeint oder schon der private Ärger über ein nachlässig verbeultes Auto? Und was machen wir mit den zahlreichen Bibelstellen, die davon sprechen, dass Gottes Zorn entbrennt? Wie gesagt: Ein pauschales Ablehnen von Wut und Zorn allgemein ist unsinnig. Blinde Wut oder Jähzorn sind höchst destruktiv, aber starke Gefühle gegen Ungerechtigkeiten und Missstände sind notwendig, um Dinge in Bewegung zu bringen und Umstände zu verbessern. Dafür lohnt es sich, unsere Wut unter die Lupe zu nehmen. Zu schauen, wo sie herkommt, wohin sie führt und wie wir sie auf eine gute Art leben können.

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Datum: 24.07.2024
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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