Der wahre Gottesdienst
Barbara Rüegger engagiert sich seit 20 Jahren für Kinder in Not und bei Kings Kids International. Sie hat als 14-Jährige ihren Vater verloren und weiss aus eigener Erfahrung, was es heisst, vaterlos zu sein. Bei einem Besuch in einem Babyheim in Rumänien in den frühen 90er Jahren sah sie zum ersten Mal mit eigenen Augen, wie es Kindern geht, die als Waisen aufwachsen. Seither setzt sie sich dafür ein, dass Kinder in Familien aufwachsen können. Zudem unterrichtet sie Pflegeeltern und Mitarbeiter in der ganzen Welt.
Für Livenet hat sie sich Gedanken gemacht, was es denn heute bedeuten kann, sich um die Waisen zu kümmern.
Vaterlos
Waise zu sein hiess in biblischer Zeit vor allem ohne Vater und damit auch ohne Rechte zu sein. Meist war dies direkt damit verbunden, dass man auch arm war. Der Vater war der Versorger der Familie, aber durch den Vater hatten die Frau und die Kinder auch einen Platz in der Gesellschaft; man wusste, zu welcher Familie sie gehörten. Starb der Vater, verlor die Familie nicht nur den Ernährer, sie wurden auch rechtlos.
In der Bibel steht die Geschichte der Prophetenwitwe, die ihre Söhne hergeben sollte, um ihre Schulden abzuzahlen. Da war kein Mann mehr, der für sie einstehen konnte. Durch das Eingreifen des Propheten Elisa und Gottes Vermehrung des Öls kam die Frau zu Geld, welches ihr nicht nur half, ihre Schulden zu bezahlen, sondern auch, den Lebensunterhalt für sich und die Söhne zu bestreiten (2. Könige, Kapitel 4). Auch im neuen Testament sehen wir Jesu Anliegen für Witwen und Waisen. Jesus erweckt den toten Sohn einer Witwe zum Leben und im Jakobus-Brief heisst es, dass es wahre Frömmigkeit oder der richtige Gottesdienst sei, sich um Waisen und Witwen zu kümmern.
Christen erkannten die Not
Bei den Römern und Griechen war es normal, unerwünschte Kinder auszusetzen. Einige dieser Kinder starben oder wurden aufgenommen und zur Sklaverei und Prostitution erzogen. Die Christen, denen klar war, dass jedes Kind ein Recht auf Leben hatte, begannen schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus, sich um ausgesetzte Kinder zu kümmern und für Waisen und Witwen Geld zu sammeln in den Gemeinden. Darum wurden unerwünschte Kinder mehr und mehr bei Kirchen und Klöstern ausgesetzt, wo sie aufgenommen wurden.
Im 14. Jahrhundert wurden die ersten Institutionen gebaut, in denen Waisen aufgenommen wurden. Obwohl viele dieser Institutionen von Christen gegründet und geleitet wurden, war es doch so, dass die Kirche als Ganzes die Betreuung von Waisen abgegeben hatte an Leute, von denen man annahm, dass sie zu dieser Aufgabe berufen wären. Leute wie Georg Müller in Bristol oder August Hermann Francke in Halle. In den folgenden Jahrhunderten übernahm in vielen Ländern der Staat die Aufgabe, sich um diese elternlosen Kinder zu kümmern.
Und heute?
Im Jahr 2010 traf sich in der Ukraine eine Gruppe von Christen aus Gemeinden und Organisationen. Sie alle hatten das Anliegen, etwas für die vielen Kinder in den Waisenhäusern zu tun, die in der Ukraine als Überbleibsel der Sowjetunion stehen. Diese Leiter und Pastoren hatten ausgerechnet, dass es gleich viele Kinder ganz ohne Eltern gab wie es Kirchen in der Ukraine hatte. Sie überlegten sich, dass es doch möglich sein sollte, dass in jeder Kirche eine Familie gefunden werden könnte, die bereit wäre, eines dieser Kinder zu adoptieren. Das Netzwerk 'Ukraine without Orphans' war geboren.
Seither sind viele dieser Kinder in der Ukraine adoptiert worden, andere kamen in Pflegefamilien, Sozialarbeiter werden in christlichen Organisationen ausgebildet und Gemeindemitglieder begleiten Kinder und Jugendliche in den Waisenhäusern und nach ihrem Austritt mit 16 Jahren. Vor ein paar Jahren entstand – inspiriert durch das ukrainische Modell – ein weltweites Netzwerk 'World without Orphans'. 2016 fand das erste globale Forum in Thailand statt. Im Oktober 2019 wird das zweite globale Forum für eine 'Welt ohne Waisen' stattfinden.
Und in der Schweiz...
In der Schweiz gibt es schon seit Jahren keine grossen Waisenhäuser mehr. Was bedeutet dann der Vers aus Jakobus, Kapitel 1, Vers 27 heute für einen Schweizer Christen? Waisen sehen in der Schweiz vielleicht etwas anders aus als in Afrika, aber auch in der Schweiz müssen immer wieder Kinder von ihren Eltern weggenommen werden, weil diese nicht fähig sind, ihre Kinder adäquat zu versorgen. Diese Kinder kommen in ein Heim oder eine Pflegefamilie. In den letzten Jahren kamen auch vermehrt minderjährige Flüchtlinge in die Schweiz. Auch diese würden gerne in einer Familie aufwachsen.
Da Pflegeeltern sein nicht immer einfach ist, werden immer wieder Pflegefamilien gesucht, welche diese Herausforderung auf sich nehmen. Gerade da sind Christen gefordert, sich zu fragen, ob das ein Auftrag für sie sein könnte. Gemeinden und Kirchen können Pflegefamilien praktisch und im Gebet mittragen.
Zur Webseite:
Global Forum
Pflegefamilien-Vermittlungen:
Shelter Schweiz
Prima Familia
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Datum: 04.06.2019
Autor: Barbara Rüegger
Quelle: Livenet