Totgesagte leben länger: Die Kirche
Wer auf die Idee kommt, Kirche einmal durch die Zeit hindurch und über die verschiedenen Ländergrenzen hinweg anzuschauen, der kommt zu einem interessanten Ergebnis: Sie hatte noch nie eine Chance. Das begann ganz am Anfang mit ein paar dahergelaufenen Nachfolgern ohne Einfluss, das setzte sich in der Geschichte fort mit der Bedrohung und Verfolgung von hingegebenen Christen sogar durch die Kirche selbst, und es findet heute noch längst keinen Abschluss bei den zahlreichen Untergrundkirchen weltweit oder hippen Nischenangeboten.
Zwischen Mehrwert und Mitbestimmung
Welchen Mehrwert bietet Kirche denn? So fragt Julia Pennigsdorf vom Evangelischen Pressedienst epd. Und sie lässt verschiedene Menschen zu Wort kommen. Typisch ist die Äusserung von Henrike Herbst: «Irgendwann war es nur noch eine pragmatische Abwägung. Ich habe mich gefragt, was mir Kirche bietet und bin zu dem Ergebnis gekommen: nichts.» Folgerichtig ist sie ausgetreten. Das scheint genauso symptomatisch zu sein wie die kirchliche «Antwort» darauf im gleichen Artikel. «Kirche muss da auch die Grenzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten erkennen. Sie ist nicht Herr ihres Schicksals», betont der Religionssoziologe Detlef Pollack, denn nichts habe den Abwärtstrend der letzten Jahre stoppen können.
Nicht so negativ beurteilen die Gemeindepädagogin Carolin Krämer und der Theologe Tobias Faix die Situation in ihrem Buch «Gemeinsam Gemeinde gestalten» und in einem aktuellen Artikel bei evangelisch.de. Ihr Fazit: Eine ganz neue Lust an Kirche ist möglich, wenn junge Menschen die Möglichkeit erhalten, dort mitzubestimmen und mitzugestalten.
Aussitzen gilt nicht!
In den letzten Jahren gab es zwar schon ähnliche Stimmen, es gab Abgesänge und Hoffnungsschimmer, doch in der Summe haben sie leider zu keiner echten Bewegung geführt. Bei den grossen Kirchen flossen trotz aller Schwierigkeiten noch genug Kirchensteuern. Und manche Freikirchler redeten sich ein, dass diese Probleme ja zum Glück nicht die ihren waren. Doch Wachstumsraten deutlich unter einem Prozent sind eigentlich keine … Wie wäre es denn, Kirche (und damit meine ich alle Kirchen und Gemeinden der verschiedenen Denominationen) einmal ganz neu zu denken.
Zukunftsthesen
Ich glaube, dass wir als Christen uns vom Recht auf ein christliches Abendland verabschieden müssen. Es hilft doch nichts, auf die letzten paar hundert Jahre zurückzuschauen und uns als Christen weiterhin als Mehrheit zu fühlen, wenn wir es vielerorts nicht mehr sind. Anstatt an Machterhalt zu denken, könnten wir wieder zu einem werbenden Einladen für Jesus zurückfinden.
Ich glaube, dass Zukunft nur gemeinsam gelingt. Also generationsübergreifend und über viele Kirchhofmauern hinweg. Von der Gesellschaft aus gesehen sind wir als Christen sowieso in einer Art «Gesamthaftung» (Wenn es in der katholischen Kirche einen Skandal gibt, treten die Protestanten aus …). Kaum etwas stösst auf so grosses Unverständnis wie die Gräben zwischen den Konfessionen.
Ich glaube, dass wir uns für neue Formen und vor allem für eine echte Beteiligung junger Menschen öffnen müssen. Da legen Carolin Krämer und Tobias Faix ihre Finger in die Wunde. Vor lauter Bewahren von Traditionen und Versuchen, junge Menschen an alte Strukturen heranzuführen, vergessen wir, dass Kirche kein Gebäude ist, sondern ein Organismus. Der «Körper Gottes» (z. B. 1. Korinther, Kapitel 12, Vers 12f) kann und muss Strukturen bilden, doch Strukturen bilden nie Leben aus.
Ich glaube, dass die Kirche von heute keine Kirche für morgen ist. Das ist allerdings nichts Neues. Es gab noch keine Generation, die die Antworten auf die Fragen ihrer Kinder gehabt hätte. Zukunftsfähig werden wir, indem wir die alte Botschaft des Neuen Testaments wieder neu in unsere Generation hinein buchstabieren. Auch hierbei sind besonders junge Christen gefragt.
Ich glaube, dass die Kirche «unkaputtbar» ist. Sicher wird es überalterte Gemeinden geben, die ihre Türen schliessen. Genauso wie hippe Jugendkirchen, die plötzlich nicht mehr zeitgemäss sind. Es wird Veränderungen in der Gesellschaft geben, von denen wir heute weder träumen noch die wir in unsere Gemeindebaukonzepte einplanen können (Oder hätten Sie 2019 an ein Corona-Jahr wie das laufende gedacht?). Über allem aber steht die Idee, dass selbst «die Pforten des Totenreichs» die Gemeinde an sich nicht überwältigen werden (Matthäus, Kapitel 16, Vers 18).
Sehen Sie das ähnlich? Ärgern Sie sich über diese Gedanken? Finden Sie sie einseitig? Haben Sie selbst noch ganz andere Ideen? Dann lade ich Sie dazu ein, mit den anderen in Ihrer Kirche, Gemeinde und Nachbarschaft ins Gespräch zu kommen. Mehr als das: in Bewegung zu kommen. Denn auch wenn es stimmt, dass Christus seine Gemeinde baut: Er baut sie nicht zwangsläufig mit uns. Und ich möchte schon dabei sein in seiner Kirche, die irgendwie auch meine ist.
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Datum: 10.08.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet