Auf dem Tisch hat Schwester Dora die Konzeption ihrer Arbeitsstätte bereitgelegt. Das "Hospiz im Wilhelminenstift", eine Einrichtung der Evangelischen Diakonissenanstalt Speyer, will für die Gäste ein Ort letzter Geborgenheit sein. "Manche Besucher sprechen von einer beinahe familiären Sterbepension", sagt Schwester Dora, "und das fassen wir durchaus als Kompliment auf." Wer hierher kommt, darf schon seinen eigenen Teppich mitbringen, den Lieblingssessel oder einen kleinen Schrank im Zimmer aufstellen, Familienbilder aufhängen. Pflegekräfte und ehrenamtliche Mitarbeiter wissen um Ängste, Hilflosigkeit und Verzweiflung. So stehen die Türen der sieben Gästezimmer häufig offen: Jeder soll spüren, dass er hier nicht allein gelassen ist. Die Betreuung der Gäste erfolgt durch ausgebildete Fachkräfte, eine Pfarrerin, eine Sozialarbeiterin und eine Psychologin. Schwester Dora ist die einzige Diakonisse im Team. Sie ist froh, es gerade hier sein zu können. "Für mich ist es ein unerhört wichtiger Auftrag, sterbenden Menschen die Liebe Gottes in Wort und Tag weiterzugeben", sagt sie. "Ich bin dankbar, dass Gäste hier die Gelegenheit nutzen, ihr Leben zu ordnen. Es ist schön, mitzuerleben, wenn sie versöhnt mit Gott und Menschen in Frieden sterben können." Wer ins Hospiz nach Speyer kommt, weiss, dass dort weder gezielt lebensverkürzende, noch lebensverlängernde Massnahmen durchgeführt werden. Wohl aber gibt es schmerz- und symptomlindernde Hilfen. "Die Todesspritze ist keine Lösung", ärgert sich Schwester Dora. Sie ist sicher: "Viele Befürworter aktiver Sterbehilfe würden sie ablehnen, wenn sie ausreichend über die Sterbebegleitung und die Möglichkeiten einer gekonnten Palliativmedizin im Hospiz informiert wären." Dass es im Hospiz trotz der intensiven Pflege und Schmerztherapie nicht "klinisch" und schon gar nicht immer traurig zugeht, wissen nur wenige. Viele Gäste haben letzte Wünsche, die sie vor ihrem Tod gerne erfüllt hätten. Die Mitarbeiter versuchen das möglich zu machen: den Besuch eines Fussballspiels des 1. FC Kaiserslautern am Betzenberg, ein Zwiebelkuchenessen mit neuem Wein im Kreis der Familie, noch einmal baden mit Piccolo und klassischer Musik. "Im Sommer haben wir im Garten ein Fest des Lebens gefeiert, mit Tombola und Reigen, irischer Musik, Leierkastenmann und Kaffeetafel", berichtet Schwester Dora. "Da kamen über hundert Freunde und Angehörige!" Wenn jemand stirbt, brennt im Eingangsbereich eine Trauerkerze. 60 bis 70 Mal wird sie im Jahr angezündet. Dann wissen Besucher: Jetzt wird Abschied genommen. Denkt Schwester Dora dabei auch an den eigenen Tod? Versonnen schaut sie zum Fenster: "Mir steht oft das Wort aus Johannes 21,3 vor Augen, wo es heisst: "Als es Morgen wurde, stand Jesus am Ufer"", sagt sie schliesslich. "Auch ich werde von anderen nur bis zur letzten Tür begleitet werden. Aber dahinter erwartet mich mein Herr. In Alter und Behinderung, Gebrechlichkeit und Krankheit und durch den Tod hindurch bleibe ich sein Kind."
"Die meisten Menschen wünschen sich, Zuhause zu sterben", erklärt mir Schwester Dora bei meinem Besuch im pfälzischen Lachen-Speyerdorf. "Doch viele, die zu uns kommen, leben allein, sind durch ihr Leiden in die Isolation geraten. Oder die Angehörigen sind mit der Pflege überfordert, schaffen es nicht, auf Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle einzugehen. Viele Krebspatienten sehnen sich nach Schmerzfreiheit, wollen in Würde sterben, ohne die Qualen einer weiteren sinnlosen Chemotherapie. Solchen Betroffenen möchten wir in unserem Haus eine letzte Heimstatt geben."
Der Teppich darf mit
Versöhntes Sterben
Die Todesspritze ist keine Lösung
"Fest des Lebens"
Die letzte Kerze
Datum: 09.05.2003
Autor: Günther Kress
Quelle: Chrischona Magazin