Was aber hat es eigentlich mit diesen Umzügen an sich? Sie haben eine lange Tradition. Die Lichter werden auch „Martinslampen“ genannt. Die Umzüge finden um den Martinstag herum statt, den wir heute feiern. Die Martinslampen oder die Räbeliechtli drücken im Brauchtum symbolisch die guten Taten des heiligen Martin aus. Wie Lampen Licht ins Dunkle bringen, so brachten seine guten Taten das Erbarmen Gottes in die Dunkelheit der Menschen. Eine der guten Taten des heiligen Martin sticht besonders hervor. Im Winter des Jahres 354 will Martin in die Stadt reiten. Da wird er von einem unbekleideten Bettler um Hilfe gebeten. Er lässt sich nicht lange bitten und zerteilt mit einem Schwert seinen Mantel. Die eine Hälfte überreicht er dem Armen, in die andere hüllt er sich selber wieder ein. Umstehende beginnen zu lachen, denn in dem halben Mantel sieht Martin recht kümmerlich aus. In der gleichen Nacht sieht Martin im Traum Jesus, bekleidet mit der Mantelhälfte, die er dem Bettler schenkte. Christus spricht zu Engeln: „Martinus hat mich mit diesem Mantel bekleidet!“ Dieses Traumgesicht verführt Martin aber keineswegs zu Ruhmsucht. In seiner Tat erkennt er vielmehr die Güte Gottes, die zu den Menschen kommen will. Martin hat nicht einfach alles weggeschenkt. Er hat auch nicht überlegt, ob am Schluss genug für ihn bleibe. Aber er hat das, was er hatte, ganz selbstverständlich geteilt. Wir haben vielleicht manchmal Angst so zu teilen. Wir fürchten unser Mantel werde zu kurz. Dann tun wir gut daran zu bitten: Gott, mein Mantel ist zu kurz.
Ich befriedige die Bedürfnisse der einen und benachteilige dabei die andern.
Leih mir ein Stück von deinem Mantel,
damit ich die Menschen mit der Last ihrer grossen Sehnsucht
darunter berge.
(nach Antoine de Saint-Exupéry)
Datum: 12.11.2004
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich