Ich denke, so sollte das Leben meistens aussehen. Sich von Zeit zu Zeit einer Selbstprüfung zu unterziehen, ist notwendig und weise und biblisch. Eine gesunde seelische Verfassung bedeutet aber meistens, dass der Verstand sich auf die beachtenswerte Wirklichkeit ausserhalb von uns konzentrieren sollte. Während meiner Zeit als Student am Wheaton College zeigte und lehrte uns ein sehr weiser, herzlicher und glücklicher Literaturprofessor, Clyde Kilby, diesen Weg zu einem gesunden Leben. Einmal sagte er: »Ich darf meine eigene Einzigartigkeit nicht erniedrigen, indem ich andere beneide. Ich muss damit aufhören, in mir herumzubohren, um herauszufinden, zu welchen psychologischen oder sozialen Kategorien ich gehören könnte. In erster Linie sollte ich mich einfach selbst vergessen und meine Arbeit tun.«41 Er hatte die tiefe Bedeutung dieser nach aussen gerichteten Selbstvergessenheit von C.S. Lewis gelernt und machte uns oft darauf aufmerksam. Eine gesunde seelische Verfassung ist zum grossen Teil ein Geschenk der Selbstvergessenheit. Denn Selbstbeobachtung zerstört, was für uns am wichtigsten ist – die echte Erfahrung der grossen Dinge ausserhalb von uns selbst. Lewis verstand dies sehr gut: Man kann seine inneren Vorgänge nicht gleichzeitig geniessen und betrachten. Man kann nicht gleichzeitig hoffen und über dieses Hoffen nachdenken; denn beim Hoffen blicken wir auf das Objekt der Hoffnung, und das unterbrechen wir, indem wir uns (sozusagen) umdrehen und den Blick auf die Hoffnung selbst richten. Natürlich können diese beiden Aktivitäten sich mit grosser Geschwindigkeit abwechseln. … Das sicherste Mittel, um einen Zorn oder eine Begierde zu entwaffnen, war, seine Aufmerksamkeit von dem Mädchen oder von der Beleidigung wegzulenken und anzufangen, die Emotion selbst zu untersuchen. Der sicherste Weg, sich ein Vergnügen zu verderben, war, anzufangen, seine eigene Befriedigung zu untersuchen. Doch wenn das stimmt, folgt daraus, dass alle Innenschau in einer gewissen Hinsicht irreführend sein muss. Bei der Innenschau versuchen wir, in uns selbst hineinzuschauen und zu sehen, was dort vor sich geht. Doch fast alles, was dort eben noch vor sich ging, wird eben gerade dadurch zum Stillstand gebracht, dass wir uns umdrehen, um es zu betrachten. Leider bedeutet das nicht das ma n bei der InnIeschaichts vordet Im Gegeteil Madet geau das , was bei der Unterbrechung all unserer normalen Aktivitäten zurückbleibt; und was da zurückbleibt, sind hauptsächlich geistige Bilder und krperliche Empdgeer grosse Irrtum besteht in der Verwechslung dieser Rückstände oder Spuren oder Nebenprodukte mit den Aktivitäten selbst.42 Die Gefahr der übertriebenen Selbstbeobachtung! Sie verzerrt das Schlechte und setzt das Gute ausser Kraft oder zerstört es sogar. Sie können nicht im Augenblick der geschlechtlichen Vereinigung die Lust selbst analysieren; Sie können auch nicht Reue untersuchen, wenn Sie sich eben in Reue verzehren; und wenn Sie sich gerade den Bauch halten vor Lachen, so wird es Ihnen nicht im Entferntesten in den Sinn kommen, über das Wesen des Humors zu philosophieren. Aber wann sonst können Sie diese Dinge wirklich kennen lernen? »Wenn doch nur meine Zahnschmerzen aufhörten! Dann könnte ich an meinem Buch über den Schmerz weiterschreiben.« Wenn sie aber aufhören – was weiss ich dann wirklich über den Schmerz?43 Wenn man über etwas Grossartiges nachdenkt oder etwas Gutes tut, dann ist Selbstvergessenheit ein Geschenk Gottes. Je mehr man versucht, von sich wegzuschauen, desto unmöglicher ist es letztendlich. Man muss es indirekt versuchen. Ein starkes Gegenmittel gegen Depressionen ist, auf die realen Dinge in der Welt zu achten. Darum hatte Clyde Kilby beschlossen: Ich werde meine Augen und Ohren öffnen. Einmal am Tag werde ich einfach einen Baum, eine Blume, eine Wolke oder einen Menschen anschauen. Dann frage ich mich nicht, wer oder was sie sind, sondern bin einfach nur glücklich, dass es sie gibt. Mit Freude werde ich dann wie Lewis sagen: Alles ist »göttliche, magische, grauenerregende und ekstatische« Realität.44 Fortsetzung: Standhaft im Leid
Datum: 04.03.2008
Autor: John Piper
Quelle: Standhaft im Leiden