Falkenstein (2): Bernardus

Bernardus
Ritterbild Bernardus

Was bisher geschah

Mit einem leisen Seufzer erhob sich Bernardus. Lange hatte er tief im Gebet auf den Knien geruht. In den frühen Morgenstunden war der Prior von unsichtbarer Hand wachgerüttelt worden. In seinem Geist hatte er sofort eine tiefe Dringlichkeit zum Gebet gespürt. Im Schein der Talglampe war er hastig über den gefrorenen Burghof hinein in die Kapelle geeilt. Vor dem großen hölzernen Kreuz mit der Christusfigur hatte er sich auf die Knie geworfen und mit flüsternder Stimme zu flehen und zu ringen begonnen. Wie eisige Wellen waren Finsternis und Schrecken an sein Herz gebrandet. Etwas Furchtbares hatte sich aufgemacht, um Tod und Grauen zu säen. Draußen im Wald! Schon nach wenigen Minuten hatte Bernardus trotz der Kälte schweißüberströmt auf seinem Angesicht gelegen. Eine schreckliche Not war in sein Gemüt gekrochen. Er hatte mit dieser Macht schon oft gerungen. Aber dieses Mal war sie um ein Vielfaches stärker. Nach zwei Stunden schien er sie endlich zurückgedrängt zu haben.

Aber dann hatte er die Stimme Gottes in seinem Herzen gehört: Lass ab! Es muss geschehen! Hole Konrad von Falkenstein!

So schnell er gekonnt hatte, war Bernardus zum mächtigen Bergfried geeilt. Dort wurde auch schon die Pforte aufgerissen. Mit grimmigem Gesicht kam der Ritter herausgestürzt, das Kettenhemd übergestreift, in der Linken das große Schwert.

«Konrad! Ich muss Euch dringend sprechen!», hatte Bernardus atemlos gekeucht.

«Ich weiß! Ich habe es auch gehört. Magos! Er hat etwas Schreckliches vor!»

Bernardus hatte erstaunt die Augenbrauen hochgezogen: «Ihr habt es gehört?! Das ist ein Wunder! Nach so vielen Jahren …»

«Wir haben keine Zeit zu verlieren, der Schneefall setzt ein. Segnet mich, Bernardus!»

Der Prior hatte schwach abgewehrt: «Aber Ihr wisst doch, dass Ihr selber …»

«Eure Bibelstunde könnt Ihr später abhalten! Mich müsst Ihr nicht belehren!», hatte Konrad ungeduldig dazwischengebellt.

«Ja, ich sollte es eigentlich wissen! Verzeiht. Ich hoffte einfach nur …»

Dann hatte er Konrad segnend die Hände auf das Haupt gelegt.

«Es wird nie wieder sein wie früher – das wisst Ihr, Bernardus.»

«Ich weiß. Die Zeit heilt nicht immer alle Wunden, edler Ritter. Aber vielleicht durch ein Kind … Und nun eilt in Gottes Namen!»

Für einen Augenblick lang hatte ihn der Ritter überrascht angestarrt. Seine Stimme hatte verletzlich und wütend geklungen:

«Ein Kind!?»

Aber dann hatte er sich bereits auf sein schwarzes Streitross geschwungen und war wie ein Sturmwind an ihm vorbei durchs geöffnete Tor geprescht.

Während das schwere Hufgeklapper am Ende der Zugbrücke in der frischen Schneeschicht verstummte, hatte Bernardus dem Ritter noch lange nachgeblickt.

«Gott mit Euch!», hatte er gemurmelt. Und dann war er mit entschlossenen Schritten in die Kapelle zurückgekehrt, um mit seinen Gebeten den Himmel zu bestürmen.

Nachdem diese Ereignisse noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeigezogen waren, richtete sich Bernardus auf, machte ein paar steife Schritte, reckte seine Glieder. Sein Rücken schmerzte. Die Beine waren eingeschlafen. Wie fremde, angesetzte Körperteile ragten seine Füße unter der Kutte hervor. So hatte sich der Prior in den letzten Stunden auch gefühlt. Wie ein Fremder in einer fremden Not.

Aber nun gab es nichts mehr zu tun. Er hatte das ihm Mögliche getan. Den Rest musste er der Gnade Gottes anbefehlen. Magos war zurückgekehrt! Er hatte seine Macht gespürt. Noch einmal war das Allerschlimmste verhindert worden. Aber von nun an war höchste Wachsamkeit geboten. Allmählich kehrte das Blut mit stechendem Geriesel in seine Beine zurück.

In Furcht und Hoffnung verbrachte er den Rest des Tages. Wartend hielt er an einer Zinne beim Burgtor Ausschau. Der Schneesturm trieb ihn ab und zu ins Torhaus, wo er sich bei den Wachen aufwärmte.

Bernardus war ein gern gesehener Gast. Seine Weisheit und Liebenswürdigkeit wurden von allen geschätzt. Manchmal redete er in Rätseln. Es gab Augenblicke, da hatte er etwas Furchterregendes an sich. Eine Kraft, die nur schwer zu beschreiben war, die alle verstummen ließ. Und es gab Stunden, da konnte er so ausgelassen wie ein Kind sein, dass es gar nicht recht zu einem Gottesmann passen wollte. Er konnte die haarsträubendsten Geschichten erzählen, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wenn sie ihm wieder einmal aufgesessen waren, kugelte er sich vor Lachen. Seine lebhaften, braunen, schlitzförmigen Augen waren dann immer nur noch eine einzige Lachfalte. Über seine Herkunft und Geschichte redete er allerdings wenig. Mit Konrad von Falkenstein und vielen anderen stolzen Rittern war er seinerzeit aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Seither war er der Geistliche dieser Burg.

Wie auch immer: Sie liebten ihn, denn er war so etwas wie die Seele von Falkenstein. Bernardus und Konrad waren wie ungleiche Brüder. Sehr verschieden – und doch war da etwas in ihnen, das sie miteinander verband.

Fortsetzung
Lesen Sie auch Teil 3: Auf der Burg

Vorabdruck des Romans „Falkenstein - Das Geheimnis des verborgenen Tales“ von Bruno Waldvogel-Frei. Der Roman erscheint in diesen Tagen im Brunnen Verlag

Bestellung
Der Roman ist bereits bestellbar unter http://shop.livenet.ch/index.html?nr=111999&f=0

Quelle: Copyright Brunnen Verlag Basel. Mit freundlicher Erlaubnis.

Datum: 30.08.2008
Autor: Bruno Waldvogel

Werbung
Livenet Service
Werbung