«Jesus gab mir Hoffnung auf der Flucht»
Anja, kannst du uns erzählen, wieso du geflüchtet bist und wie es dir unterwegs ergangen ist?
Ich wollte eigentlich gar nicht gehen, ich habe noch zwei Brüder, einen 14- und einen 21-Jährigen, der im wehrfähigen Alter ist und nicht weggehen konnte. Meine Mutter war aber sehr besorgt und wollte wenigstens mich und meinen kleinen Bruder in Sicherheit wissen. Unsere Flucht war zwar lange, es dauerte vier Tage bis wir in der Schweiz waren, aber da wir mit dem Auto an die Grenze und mit einem anderen Auto in die Slowakei gebracht wurden, ging alles gut. Von dort fuhren wir dann mit den Zug nach Wien und in die Schweiz.
Wieso war die Schweiz dein Zielland?
Ich war früher schon mal in der Schweiz mit unserem Pastor aus der Ukraine, der auch Deutschlehrer war und wollte, dass die Teenager in seiner Kirche auch Deutsch lernten. So lernten wir die Leute in Uetendorf kennen, mit denen unser Pastor befreundet war. Diese besuchten dann auch die Ukraine und danach besuchten wir als Familie nochmals die Schweiz. Als der Krieg ausbrach lud diese Familie mich und meinen Bruder ein, zu ihnen zu kommen. Vanya ist nun mit unserer Mutter zusammengezogen und ich zu anderen Freunden.
Kannst du hier in der Schweiz arbeiten und wie geht es dir sonst?
Ich mache Deutschkurse und kann in einer Schule mit den Ukrainischen Kindern arbeiten. Ich habe auch Kontakt zu meinen Grosseltern und meinem Bruder in der Ukraine. Es ist sehr schwierig für sie, aber meine Grosseltern möchten nicht mehr reisen und haben auch gesundheitliche Probleme. Natürlich habe ich auch Kontakt mit meiner Mutter und meinem Bruder. Mein Bruder liebt es, hier in der Schweiz zu sein, aber für meine Mutter ist es hart, auch weil sie kaum Deutsch kann.
Wie ging es dir mit der Sprache in der Schweiz, wie hast du dich verständlich gemacht und wie geht es dir heute?
Ich sprach ja schon etwas Deutsch und habe auch an der Universität Deutsch studiert im Level A1. Nun kann ich Deutsch sprechen, aber Schweizerdeutsch ist immer noch sehr schwierig. Ich fühle mich oft übergangen und ausgegrenzt, da die Sprache ja etwas ganz Wichtiges ist um zu kommunizieren. In persönlichen Gesprächen geben die Leute sich Mühe und stellen um, aber sobald sie in der Gruppe sind, in der Kirche oder der Jugendgruppe, sprechen sie Dialekt, den ich noch nicht verstehe. Für ältere Leute, so wie meine Mutter, ist es hart, die Sprache zu lernen, dass macht das Leben hier schwierig.
Wie hat dir dein Glaube und Jesus auf der Flucht geholfen?
Es hat mir immer geholfen, ich hatte immer Hoffnung und es hat auch die schwierigen Dinge einfacher gemacht und ich weiss, da ist immer jemand, auf den ich zählen kann. Und natürlich war es auch super, dass wir die Verbindung zu der Gemeinde hier schon hatten, wodurch wir in die Schweiz kommen konnten und so auch schon Leute kannten.
Was ist dir sonst noch wichtig geworden?
Zwei Dinge sind mir ganz wichtig geworden: Einerseit, hier ukrainische Freunde zu finden, da wir ja alles etwas Ähnliches erleben und uns so untereinander gut verstehen. Es wurde mir aber auch ganz wichtig, mich in der Gemeinschaft der Schweizer, vor allem in einer Gemeinde, zu integrieren, weil diese dir helfen können. Schweizer können dir auch Ratschläge geben, wie man hier lebt, das können Ukrainer nicht. Darum ist es wichtig, dass man nicht nur mit seinen eigenen Leuten zusammen ist.
Die Serie zu Flüchtlingen in der Schweiz entstand im Zusammenhang vom Flüchtlingssonntag 2023, der am 18. Juni 2023 begangen wird. Weitere Informationen dazu finden sich hier.
Zum Thema:
Ich war ein Flüchtling…: Im Boot und im Kofferraum
Ich war ein Flüchtling…: Mit der Schwester auf der Flucht
GAiN in Griechenland: Flüchtlingen mit Würde und Menschlichkeit begegnen
Datum: 27.05.2023
Autor:
Barbara Rüegger
Quelle:
Livenet