RailHope Schweiz

Bähnler erleben Mangel und Wunder

Würden die SBB ein Sorgenbarometer veröffentlichen, wäre der Mangel an Lokführerinnen und Lokführern wohl an oberster Stelle anzutreffen. Hinzu kommen Schienensuizide und Beinahe-Unfälle. Sie belasten die betroffenen Bähnler zusätzlich. Die Vereinigung RailHope Schweiz hilft mit, diese Herausforderungen aufzufangen.
Ueli Berger ist Lokführer und Seelsorger. (Bild: idea Schweiz)

Das Bahnsystem Schweiz ist sehr komplex und hat viele Schnittstellen wie Zugbereitstellung, Zugverkehrslenkung, Zugführung und Unterhalt. Diese müssen möglichst reibungslos funktionieren, damit ein Zug von A nach B sicher und pünktlich verkehren kann. Ueli Berger, Lokführer bei SBB Personenverkehr und im pastoralen Dienst von RailHope unterwegs, sagt dazu: «Der Mangel an Lokführern hat dazu geführt, dass das Lokpersonal oft angefragt wird, an arbeitsfreien Tagen zusätzliche ungedeckte Touren zu fahren. Die zuständigen Führungskräfte haben diesen Unterbestand erkannt, aber es braucht Zeit, genügend geeignete Leute für diesen verantwortungsvollen Beruf zu finden und auszubilden. Deshalb werden auch andere Möglichkeiten in Erwägung gezogen. Unter anderem wird geprüft, verfügbare Piloten auf den Lokführerberuf umzuschulen.» Als weitere Massnahme wurde das Zugsangebot auf gewissen Linien temporär reduziert.

Zusätzliche Stressfaktoren

Neben dem Personalmangel sind Schienensuizide und Beinahe-Unfälle zusätzliche Stressfaktoren, welche Lokführerinnen und Lokführer belasten. Zu Beinahe-Unfällen zählt auch, wenn sich Personen unerlaubt in Gleisnähe aufhalten oder diese Gleise knapp vor herannahenden Zügen überqueren. RailHope Schweiz bietet Hilfe an, solche schwierigen Ereignisse mit posttraumatischem Potenzial zu verarbeiteten.

Ein Bähnler als Seelsorger

Lokführer Berger gehört zum Seelsorge-Team von RailHope und ist auch als Nachbetreuer (Peer) für SBB Care tätig. Öfters wird er kontaktiert, um zuzuhören, ein ermutigendes Wort weiterzugeben oder manchmal auf Wunsch auch ein Gebet zu sprechen. So auch von einer Lokführerin, welche beinahe zwei Personen überfahren hat und nun zuhörenden Beistand von ihm wünscht. Berger erzählt: «Die Lokführerin ist mit ihrem Regio-Express mit 125 km/h nach Olten unterwegs, als sie gerade eine unübersichtliche Kurve zu befahren begann. Plötzlich steigt in ihrem Kopf der glasklare Gedanke «Personen im Gleis!» auf. Dieser Gedanke versetzt sie in erhöhte Bremsbereitschaft, um sofort die Schnellbremsung einleiten zu können. Als nach dem Kurvenende die Sicht auf den näherkommenden Bahnsteig frei wird, entdeckt sie zwei Personen zwischen ihrem Gleis und der Bahnsteigkante. Sofort leitet sie eine Schnellbremsung ein, gibt Achtungssignale und touchiert eine der beiden Personen.» Der Zug kam nach dem Bahnsteig zum Stehen und die Lokführerin war in einem Schockzustand.

Wieder Fahrt aufnehmen

Gemäss Augenzeugen hatte sich eine der Personen beim unerlaubten Überqueren der Geleise mit einem Fuss so verhakt, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Lage befreien konnte. Beide blieben jedoch weitgehend unverletzt. Berger führte anschliessend mehrere Gespräche mit der betroffenen Lokführerin und half ihr, das Ereignis einzuordnen. Sie konnte nach ein paar Tage wieder Züge fahren. Für Bergers Berufskollegin war dieses schockierende Ereignis eine grosse Bewahrung und ein Wunder zugleich. Sie ist Gott bis heute unendlich dankbar, dass die gedankliche Vorwarnung «Personen im Gleis!» allen beteiligten Personen entscheidende und lebensrettende Sekunden geschenkt hatte.

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Datum: 04.11.2020
Autor: Helena Gysin
Quelle: idea Schweiz

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