Sie kanns mit jung und alt
Nathanja, erzähl uns bitte von deiner Kindheit!
Nathanja Baumer: Aufgewachsen bin ich in Weerswilen, einem
kleinen Dorf bei Weinfelden, zusammen mit meinen zwei jüngeren Brüdern,
Noah (23) und Jorim (20). Wir durften eine wunderbare Kindheit erleben,
verbrachten als Familie unzählige Stunden im Garten, beim Werken oder
auf Abenteuertour. Der Zusammenhalt im Dorf war ausgezeichnet und bis
spät in die Abende spielten wir Kinder draussen Fussball oder «Räuber
und Poli». Es fühlte sich an wie eine grosse Familie und die Türen zu
anderen Häusern standen uns immer offen. Wir pflegten Freundschaften,
die bis heute halten.
Hattest du auch Hobbies?
Ja, in meiner Freizeit spielte ich Geige und besuchte die Jungschar, bei der ich später Leiterin wurde.
Wie kam es, dass du Pfarrerin wurdest?
Meine Eltern lebten uns authentisch vor, was es bedeutet, mit Gott
durchs Leben zu gehen. Der christliche Glaube spielt seit meiner
Kindheit eine grosse Rolle für mich und ist meine Lebensgrundlage. Dass
mein Weg ins Pfarramt führt, zeigte sich während eines
Berufungserlebnisses: Während der Kanti hatte ich drei Tage lang das
Kloster Glattburg besucht. Als ich in der Kapelle betete, wurde mir
klar, dass ich Pfarrerin werden sollte. Der Gedanke liess mich nicht
mehr los. Auch bin ich gern mit Menschen jeden Alters unterwegs. Was
bietet sich da Besseres, als die vielseitige Arbeit einer Pfarrerin!
Zunächst zog es dich aber auf den Bau…
Ja. Nach der Matura arbeitete ich noch zwei Monate als Zimmerin auf dem
Bau. Vor dem Theologiestudium besuchte ich eine einjährige Bibelschule
in den USA, konkret in Kalifornien. Dort lernte ich meinen Mann Fabian
kennen. Die Schule war sehr international. Innerhalb unterschiedlichster
Nationalitäten denselben Gott als verbindendes Element zu erleben, war
grossartig. Danach studierte ich vier Jahre an der Theologischen
Fakultät der Universität Zürich. Das war nicht immer einfach, aber ich
blieb meiner Liebe zur Bibel treu. Das Abschlussjahr an der University
of Edinburgh war «mega cool» und inspirierend.
Weshalb gerade Schottland?
Fabian und ich nutzten die Chance, im Ausland zu studieren und das
theologische bzw. juristische Studium dort abzuschliessen. Die
Professoren an der Theologischen Fakultät lebten ihren Glauben
authentisch und engagierten sich in ihren Kirchen, was mich
beeindruckte. Auch die Gemeinschaft unter den Studenten war erbauend.
Das tat gut.
Wie ging es weiter, zurück in der Schweiz?
Mein einjähriges Lernvikariat absolvierte ich in der evangelischen
Kirche Berg TG. Mein Ausbildungspfarrer, Hanspeter Herzog, gab mir sehr
viele Freiheiten. Ich durfte alle Arbeiten einer Pfarrperson ausführen:
Trauungen, Abdankungen, Gottesdienste, Konfirmationsunterricht und
Seelsorgegespräche. Gleichzeitig profitierte ich von seiner grossen
Erfahrung und seinen wertvollen Feedbacks. Ich bin Fan von ihm und habe
unglaublich viel von ihm gelernt. Ja, und jetzt bin ich seit September
2021 Pfarrerin in Felben-Wellhausen.
Wie sieht der Pfarralltag in deiner Kirchgemeinde aus?
Er ist sehr abwechslungsreich. Kein Tag ist wie der andere und manchmal
klingelt es unerwartet an der Tür. Natürlich gehören zu meiner Tätigkeit
auch wiederkehrende Aufgaben wie das Vorbereiten und Leiten des
Sonntagsgottesdienstes. Wichtig ist mir auch der
Konfirmationsunterricht. Dort diskutieren wir offen über Glaubensthemen.
Es ist mein Wunsch, dass die Jugendlichen Jesus kennenlernen dürfen und
mit ihm durch ihr Leben gehen. Das bedeutet auch, dass es im Konf-Unti
Platz gibt für kritische Fragen. Die Ehrlichkeit der jungen Leute ist
erfrischend.
Konntest du neue Projekte initiieren?
Ja, seit kurzem findet der Jugendgottesdienst in neuer Form am
Dienstagabend für Jugendliche der 5. bis 8. Klasse statt. Wir singen
moderne christliche Lieder, es gibt einen Input mit Gebet und danach
einen gemeinsamen Znacht. Diesen Winter starten wir mit einem
Glaubenskurs für Erwachsene; das ist eine sehr gute Gelegenheit, sich
mit Lebens- und Glaubensfragen auseinanderzusetzen und mehr über Gott zu
erfahren.
Wie ist deine Beziehung zur älteren Generation?
Ich bin auch für die Seniorenarbeit zuständig, was ich sehr gern mache.
Hausbesuche gehören dazu. In den letzten Monaten ist die Beziehung zu
vielen älteren Kirchenmitgliedern gewachsen; ich durfte schon mehrere
Seelsorgegespräche führen. Es ist ein Privileg, diesen Menschen
zuzuhören und mit ihnen zu beten.
Wie pflegst du persönlich deinen Glauben?
Indem ich mit Gott rede, wie mit einem guten Freund und in der Bibel
lese. Für mich ist die Bibel Gottes Wort, durch das er zu uns Menschen
sprechen kann. Auch lese ich gern Biografien von Glaubensvorbildern. An
freien Sonntagen besuchen wir hin und wieder Gottesdienste in anderen
Gemeinden oder hören Predigten online.
Was sind Highlights in deiner bisherigen Laufbahn als Pfarrerin?
Einerseits der Oster- und Karfreitagsgottesdienst, welche sehr bewegend
waren und gut besucht wurden. Und natürlich die Konfirmationsfeier, bei
der mich begeistert hat, wie viel die Jugendlichen von Jesus mitbekommen
haben.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Bisher kamen wir als Ehepaar nicht oft dazu, in die Ferien zu verreisen.
Das möchten wir gern nachholen. Aufgrund unseres Studienjahres in
Schottland zieht es uns immer wieder dorthin zurück. Die Ideen werden
uns sicher nicht ausgehen.
Dieser Artikel erschien zuerst in den Hope Regiozeitung, welche an Weihnachten 2022 in der Ostschweiz erschienen sind.
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Datum: 03.01.2023
Autor: Rolf Frey
Quelle: Hope-Zeitungen