Eine Betroffene wird Trauerbegleiterin
«Mein Mann verstarb vor 15 Jahren», erzählt Elisabeth Bührer aus Kleinandelfingen (ZH). «Er war gerade 41 Jahre alt und meine Kinder waren noch klein.» Damals schien die Welt still zu stehen, in Wirklichkeit öffnete sich für Elisabeth aber gerade ein neues Kapitel – inmitten von Schmerz, Trauer und quälenden Fragen.
Wenn das Gottvertrauen erschüttert ist
«Als mein Mann an Krebs erkrankte, fühlte ich eine unglaubliche Ohnmacht.» Daneben zu stehen, ohne etwas tun zu können, ist schwierig. «Was blieb, war mein Glaube und so legte ich alles Vertrauen in Gott.» Sie brauchte ihren Ehemann, die Kinder ihren Vater – Gott musste ihn doch einfach heilen! Aber Gott griff nicht ein. Als ihr Mann starb, verlor Elisabeth den Boden unter den Füssen, ihr Gottesbild wurde in den Grundfesten erschüttert. Wieso hatte Gott nicht eingegriffen? Wie konnte sie ihm überhaupt noch vertrauen?
Eine Frau, die Elisabeth begleitete, machte ihr Mut, sich ihrer Gottesbeziehung ganz neu zu stellen. Inspiriert von den biblischen Psalmisten, die ihr Innenleben vor Gott ausbreiteten, schrieb sie ihren eigenen Psalm. «Es ist gut, eigene und oft widersprüchliche Gefühle vor Gott auszubreiten.» Es gehe nicht ums Bewerten dieser Gefühle, sondern einfach darum, diese anzuerkennen. In den Jahren des Trauerns erlebte sie Gottes tröstende Gegenwart und auch seine praktische Hilfe immer wieder.
Plötzlich alleinerziehend
Obwohl Elisabeth durch den Verlust ihres Ehemannes zu einer viel tieferen Gottesbeziehung gefunden hat, bleiben manche Fragen ungeklärt – besonders in Bezug auf ihre Kinder. «Meine Kinder mussten ohne Vater aufwachsen und das ist nicht einfach. Mein jüngster Sohn war drei Jahre alt, als sein Vater starb und hat heute kaum mehr Erinnerungen an ihn.» Sie bemühte sich, ihren Kindern den Kontakt zu Vaterfiguren zu ermöglichen. Einen väterlichen Freund zu haben, ist von unsagbarem Wert. Abgesehen von wenigen guten Erlebnissen, die ihre Kinder positiv prägten, war dies aber schwierig.
Als alleinerziehende Mutter war Elisabeth zuweilen über ihre Grenzen hinaus gefordert. Oft fühlte sie sich unverstanden und alleine. Auch Artikel über Alleinerziehende sprachen sie nie richtig an. Unterschwellig wurden Alleinerziehende häufig klischeehaft mit Problemen der Kindererziehung oder den Finanzen in Verbindung gebracht. «Damit konnte ich mich nicht identifizieren.» Irgendwann schrieb sie selbst einen Artikel für eine christliche Zeitschrift. Dieser kam so gut an, dass sie daraufhin ein Andachtsbuch für Alleinerziehende verfasste.
Eine Getröstete tröstet Trauernde
Sieben Jahre nach dem Tod ihres Mannes erzählte Elisabeth in ihrer Gemeinde, wie Gott sie durch diese Zeit getragen hat. «Willst du nicht Trauernde begleiten?», fragte jemand nach dem Gottesdienst. Als sie in den folgenden Tagen den Prospekt einer Ausbildung zur Trauerbegleitung in den Händen hielt, fühlte sie sich angesprochen. Es waren zwar etwas viele Ausbildungstage für die beruflich ausgelastete Elisabeth und die Ausbildung war auch nicht gerade günstig, letztlich konnten diese Hindernisse aber überwunden werden und sie machte die Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Aktuell bildet sie sich weiter für das Begleiten von Kindern und Familien.
«Heute begleite ich häufig Menschen, die ihren Partner verloren haben. Die meisten haben einen christlichen Hintergrund.» Eine Beziehung mit Gott mache die Verarbeitung in mancherlei Hinsicht einfacher. «Christen haben eine reale Hoffnung auf ein Wiedersehen in der Auferstehung. Das ist unglaublich tröstlich.» Andererseits haben trauernde Christen oft zusätzliche Schwierigkeiten. «Der Glaube vieler Frauen und Männer, die ihren Partner verloren haben, wurde erschüttert.» Hier müsse hingeschaut werden und die Enttäuschung von Gott genauso beim Namen genannt werden wie alle anderen Gefühle.
Die Kinder werden oft vergessen
Auf dem Weg des Trauerns ist es meistens sinnvoll, eine Begleitperson zu haben. Letztlich sollen Trauer und Verlust ins Leben integriert werden. Denn auch schwierige Erfahrungen gehören zur Lebensgeschichte dazu. Sie prägen und formen uns.
In den letzten Jahren wuchs in Elisabeth das Anliegen, Kinder, die einen Elternteil oder ein Geschwisterkind verloren haben, zu begleiten. «Ich merkte, dass Kinder nach Verlust eines Elternteils in ihrer Trauer häufig nicht gesehen werden. Man fokussiert sich auf den hinterbliebenen Elternteil und die praktischen Fragen, wie es mit der Familie weitergeht.» Dabei bleiben Kinder oft auf der Strecke. «Kinder sind sprunghaft. Sie verspüren schnell wieder Freude und spielen. Trotzdem haben sie Zeiten des Trauerns und darin müssen sie begleitet werden.» Es sei gut, mit ihnen zu sprechen und sie mithineinzunehmen in das Abschiednehmen vom verstorbenen Familienmitglied. Eigentlich braucht es nicht viel und manchmal hilft es schon, mit einem Kind ein Bilderbuch anzuschauen, in welchem ein Tier stirbt und dann darüber zu sprechen.
Für den hinterbliebenen Elternteil ist es nicht einfach, eine gute Rolle in der Trauer der Kinder einzunehmen. Authentisch zu sein und ehrlich mit den Kindern zu sprechen, ist aber sehr wichtig. «Je mehr wir kommunizieren, desto einfacher ist es für das Kind, unsere eigene Gefühlslage zu verstehen. Sonst kann es sogar passieren, dass sich das Kind für die Trauer des Elternteils schuldig fühlt.»
Seit Herbst 2020 arbeitet Elisabeth Bührer selbständig als Trauerbegleiterin. Zudem führt sie auch Trauerseminare durch. Weitere Infos unter www.buehrer.care.
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Datum: 11.07.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet