Über den Tod sprechen

Und wenn dein Kind dich jetzt gleich fragt?

Kinder fragen ihre Eltern, was gerade in der Ukraine passiert. Sie wollen wissen, warum sich Menschen bekriegen und unnötig sterben. Einfache Antworten gibt es beim Umgang mit Tod, Trauer und Krieg nicht.
Mit Kindern über Tod und Trauer sprechen

Viele Kinder belastet, was gerade in der Ukraine passiert. Sie sprechen in der Schule über einen Krieg in Europa. Die Bilder in den Nachrichten verunsichern sie. Auf ihre existenziellen Fragen möchten sie Antworten haben. Psychologen, Pädagogen und Theologen werben dafür, sie dabei nicht alleine zu lassen.

«Kinder reden mit den Menschen über schwierige Themen, zu denen sie eine enge Bindung haben und denen sie vertrauen. Gerade bei jüngeren Kindern ist diese Bedingung extrem wichtig», erklärt die Psychotherapeutin Katrin Kroll gegenüber PRO. Erwachsene sollten ihnen altersgerechte Antworten geben, um deren Stress gut zu regulieren.

«Wenn Babys Bauchschmerzen haben, erkläre ich ihnen ja nicht die Symptome, sondern massiere ihren Bauch.» Es sei wenig sinnvoll, mit Zweijährigen ausführlich über Tod und Sterben zu reden. In diesem Alter reiche oft eine kurze Antwort. Dann möchten sie schon weiterspielen: «Falls nicht, sollten wir ihnen verdeutlichen, dass wir für sie da sind und sie beschützen.»

Keine pauschalen Antworten

Das Gehirn eines Kindes mache sich über bestimmte Themen zum Glück noch keine Gedanken, betont Kroll: «Das hat der Schöpfer gut angelegt.» Es gebe auch keine pauschalen Antworten im Umgang mit dem Thema. Vieles hänge vom Naturell des Kindes ab. Im Kindergartenalter fürchteten sie sich vor allem davor, dass ihren engen Bezugspersonen etwas passiere: «Je älter sie werden, desto mehr Gedanken machen sie sich über Gut und Böse.»

Mit einem zehnjährigen Kind würde Kroll natürlich die zerstörerischen Bilder in den Medien besprechen: «Ich versuche ihm zu vermitteln, dass manche Machthaber böse Entscheidungen treffen und die anderen Länder sie daran hindern möchten.»

Für Eltern sei dies nicht leicht, hier sprachfähig zu sein. Wer mehrere Kinder habe, sollte diese Themen immer auf der Ebene des kleinsten Kindes besprechen: «Mit den Älteren braucht es dann noch einmal ein separates Gespräch.»

Todkrankes Mädchen betet für seine Eltern

Eine, die weiss, wie man mit Kindern über schwierige Themen redet, ist Jutta Georg. Die pensionierte Lehrerin befasst sich seit über 30 Jahren mit dem Thema «Mit Kindern über Tod und Trauer reden». Damals war sie Referentin des Bundes Freier Evangelischer Gemeinden und sollte auf Anfrage der Seminaristen eine Einheit zu besagtem Thema entwickeln.

Georg hat selbst als Fünfjährige ihre Mutter verloren. Aus der Beschäftigung mit dem Thema ist das «Chris Sorgentelefon» entstanden. Dort können Kinder seit 1998 anonym ihre Probleme loswerden. Dabei geht es um die erste grosse Liebe, Mobbing, aber eben auch um Tod und Sterben.

Aus Georgs Sicht hilft es nicht, das Thema zu verdrängen. «Je später ich die Kinder damit konfrontiere, desto schwieriger wird es.» Bei kleineren Kindern gehe es darum, ihnen ihre aktuelle Angst zu nehmen. Die Frage nach dem Warum tauche erst bei Grösseren auf: «Die Antwort bleibt schmerzhaft offen. Der Tod ist der letzte Feind des Lebens», sagt Georg.

In ihrem Ehrenamt hat sie trotzdem viele bereichernde Momente erlebt: Ein todkrankes Mädchen wollte für ihre Eltern beten lassen, damit diese nach dem Tod der Tochter nicht verzweifelten. Ein Junge, dessen Schwester gestorben ist, stellte einmal nüchtern fest, dass Gott «sie nicht geheilt, sondern es eben anders gemacht hat».

Georg beobachtet, dass Kinder Gottes Handeln eher akzeptieren als Erwachsene. Oft seien die Erwachsenen viel verkrampfter. «Wenn wir uns nicht unserer eigenen Endlichkeit stellen, fehlen uns die Antworten.»

Mit Kindern auf die Beerdigung gehen

Erwachsene bräuchten bei ihren Antworten ein Gespür dafür, welche Zeiträume Kinder überblicken können, sagt Psychotherapeutin Kroll. Mit Ewigkeit könnten die Wenigsten etwas anfangen, gerade jüngere Kinder können von ihrer kognitiven Entwicklung meist nur Tage oder Wochen überschauen.

Wenn sie grösser werden, interessiere es sie, was mit dem Körper der Toten passiere: «Meinen Kindern erkläre ich dann meine christliche Sichtweise. Der Teil des Menschen, der keinen Körper braucht, geht zu Jesus und erlebt mit ihm tolle Sachen.» Der andere Teil werde wieder zu Erde. «Die Kinder können das innerhalb ihrer Möglichkeiten verstehen und oft leichter einordnen als wir Grossen.»

Kroll plädiert, wie auch andere Experten, dafür, Kinder mit zu Beerdigungen zu nehmen – und zwar in jedem Alter. Sie könnten dort im Normalfall erleben, wie Erwachsene gut mit ihren Gefühlen umgehen und trauern: «Je früher sie es erleben, desto besser können sie es in ihre Entwicklung integrieren.»

An der Schule, an der Jutta Georg tätig war, durften sich die Kinder immer zwei Freunde und eine Lehrkraft aussuchen, die sie zu einer Beerdigung begleiteten. «Aus meiner Sicht können sie auch bei Trauergesprächen oder beim Abschied am Sarg dabei sein. Oft wollten die Erwachsenen das nicht.»

Auch die Arbeit von Trauergruppen für Kinder sei enorm wichtig. Die evangelische Theologin Margot Kässmann sieht das ähnlich: «Teenager haben Tausende Tote im Computer oder Fernsehen gesehen. Aber zu richtigen Beerdigungen nehmen Erwachsene sie nicht mit.»

Kinder können Erwachsenen helfen

Auf der Messe «Leben und Tod» in Bremen hat die frühere EKD-Ratsvorsitzende Kässmann dafür geworben, mit Kindern wie selbstverständlich Friedhöfe zu besuchen. Diese seien Orte der Trauer und der Rituale. «Kinderfragen helfen dabei, dass Erwachsene um eigene Antworten ringen», findet Kässmann. Kinder könnten Erwachsene auch freier im Umgang mit Tod und Sterben machen.

Kinder sollen Trauer zulassen dürfen, findet Pädagogin Mechthild Schroeter-Rupieper. «Nur das kann heilen. Kinder werden meistens dafür gelobt, wenn sie sich souverän verhalten und Stärke zeigen.» Die Pädagogin beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit dem Thema und hat etliche Bücher dazu geschrieben. Wer mit Kindern über Tod und Trauer rede, müsse wahrhaftig sein: «Kinder dürfen nicht im Dunkeln tappen.»

Gläubige Eltern müssten auch zulassen, wenn Kinder Gott angesichts von Tod und Leid doof fänden, und sollten ihnen nicht ihre eigene Meinung aufzwängen. Für Schroeter-Rupieper gehört in jede pädagogische Einrichtung ein Buch zum Thema Verlust und Trauer. Gerade bei stillen Kindern sei es wichtig, diese zum Sprechen zu bringen: «Alle haben Trauer nötig.»

Auch um eigene Emotionen kümmern

Und Erwachsene müssten auch aushalten, auf bestimmte Fragen keine Antworten zu haben. An der Theodizee-Frage, warum Gott das Leid zulässt, hätten sich schon etliche Theologen die Zähne ausgebissen, sagt Psychotherapeutin Kroll. Sie hoffe darauf, dass Gott die Dinge in seiner Hand hält. Diese Perspektive sei auch für Kinder wichtig.

«Kinder brauchen Schutzräume. Sechsjährige müssen nicht alle Details über die Welt wissen.» Je älter die Kinder werden, desto wichtiger seien Gleichaltrige: «Ein Spielfreund wird immer mehr zur zentralen 'Homebase', mit dem ich vieles teilen kann», erklärt Kroll.

Für Kinder ohne intakte Familien wünscht sie sich Menschen, mit denen diese ihre Sorgen und Ängste teilen können: «Vielleicht ist das die seltsam anmutende Nachbarin, der Pate oder die Mitarbeiterin in der Gemeinde. Gott hat Humor und ein gewisses Mass Sturheit, um Kinder mit solchen Menschen zu unterstützen.»

Die Pandemie habe den Umgang mit emotional belastenden Themen erschwert. Die Menschen seien gereizter, erschöpfter und trauriger: «Corona hat uns angestrengt und angestrengte Menschen reagieren gestresster.» Die Bertelsmann-Stiftung hat herausgefunden, dass die Menschen in der Pandemie zu viel Zeit zum Nachdenken hatten und zu wenige Menschen, um über die Probleme zu sprechen.

Vor Kurzem habe Kroll einen achtjährigen Jungen therapiert, der mit Bildern des Krieges konfrontiert war. Sie habe sich bemüht, die Bilder mit ihm in einen «imaginären» Tresor zu verpacken: «Kinder, die jünger als zehn Jahre sind, sollten diese Bilder nicht sehen.»

Wie im Flugzeug...

Kroll sieht aber auch die Erwachsenen in der Pflicht: «Unsere eigene Reaktion ist für die Kinder genauso wichtig.» Wenn Kinder merken, dass ihre Eltern im Stress sind oder Angst haben, sind sie selbst gestresster und stellen ganz andere Fragen.

Kroll verdeutlicht ihre Sichtweise mit einem Bild: Im Flugzeug erkläre die Stewardess, dass die Erwachsenen sich im Notfall zuerst um sich und dann um ihre Kinder kümmern sollen. Ähnliches gelte für Krisen: «Kinder reagieren stark auf die Emotionen ihrer Bezugspersonen. Wenn diese stark und gefestigt sind, hilft das den Kindern.»

Die Rolle der Erwachsenen sei es, Kindern Sicherheit zu geben und zugleich für sich Wege finden, um für Stress­situationen gewappnet zu sein: «Erholte Erwachsene können den Kindern gut begegnen.»

Im Gegenzug helfen Kinder den Grossen mit ihrer Sicht auf die Welt, nicht an schwierigen Themen zu zerbrechen. Kinder verstünden häufig leichter, dass Jesus sich um Missstände kümmern kann. «Vielleicht meint Jesus das, wenn er davon spricht, so zu werden wie die Kinder», sagt Kroll.

Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.

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Datum: 28.06.2022
Autor: Johannes Blöcher-Weil
Quelle: PRO Medienmagazin

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