Ökologie auf Kosten der Evangelisation?
Von Anfang an hat die Kirche damit gerungen, wer Jesus genau ist, dem sie nachfolgt und dessen Reich sie verkündet. Eine der ersten Fragen lautete: War dieser Jesus ein – möglicherweise guter – Mensch, oder war er Gott? Nach über 400 Jahre langem, hartem Ringen hat die frühe Kirche – vereinfacht formuliert – über Jesus von Nazareth gesagt: Er ist ganz Gott und ganz Mensch. Vollkommen Mensch zu sein, bedeutet, das Diesseitige ohne Abstriche ganz anzunehmen. Ganz Gott zu sein, bedeutet aber auch, völlig anders zu sein als diese Welt.
Um welche Realität geht es?
Die frühe Kirche war zudem stark leibbezogen, ohne eins mit dem Diesseitigen zu werden. Beispiele wie etwa die Korintherbriefe deuten darauf hin, dass die reale Gemeinschaft zum Christsein gehörte und die «eigentliche» Realität gerade nicht auf das Zukünftige verlagert wurde. Gleichzeitig zeigt das Thema Hoffnung, das auch in diesen Briefen angesprochen wird (1. Korinther, Kapitel 13, Vers 13), dass eine völlig gerechte Welt sich nicht im Hier und Jetzt vollenden lässt.
Wie hilft uns das nun in der Frage nach Mission, Ökologie und Nachfolge? Heute sind zwei Tendenzen festzustellen: Manche Kirchen kümmern sich mit viel Engagement um diese Schöpfung und strengen sich ökologisch an. Das ist lobenswert. Wird aber ausschliesslich das Diesseits betont, dann hätte die alte Kirche sie ausgeschlossen. Warum? Weil sie nur die menschliche Natur dieses Jesus betonen: Die Hoffnung bleibt im Menschen begründet.
Die gegenüberliegende Tendenz: Es zählt nur das Jenseits, nämlich die Rettung des Einzelnen. Die Schöpfung hat dabei keinen Wert an sich, obwohl doch Gott Mensch wurde, damit die ganze Schöpfung erlöst wird (Römer, Kapitel 8, Vers 22).
Beide Tendenzen haben etwas Richtiges und Anziehendes, aber in ihrer Einseitigkeit verfehlen sie, zumindest gemäss der alten Kirche, das Ziel. Einen Keil zwischen Erlösung und Schöpfung zu treiben, wird dem biblischen Zeugnis nicht gerecht.
Ein Beispiel aus Thun
Wo immer beide Aspekte gleichermassen bejaht werden, da breitet sich die «Fülle des Lebens» aus. Ein solches Beispiel ist die Evangelisch Freikirchliche Gemeinde efg Thun, die beide Aspekte betont. Von ihrer Geschichte her ist sie eindeutig dem herkömmlichen Verständnis von Nachfolge und Evangelisation zuzuordnen. Dies hat sie über Jahre hinweg ergänzt, ohne das Bisherige zu verlieren. Sie setzte zum Beispiel bewusst auch andere Akzente, wie etwa einen jährlichen Kurs zu Gerechtigkeit, ein Thema, das eng mit Ökologie verbunden ist. Das Merkmal dieser Kirchgemeinde liegt gerade in ihrer unspektakulären Ausgewogenheit. Nachfolge bedeutet für sie, den Nöten dieser Welt mit der Hoffnung auf das Reich Gottes zu begegnen. Diese Ausgewogenheit hat ihr numerisches Wachstum nicht verhindert.
Ein weiteres Beispiel: Es erstaunt kaum, dass im Netzwerk Eco Church in England, mit über 5'000 Kirchgemeinden, aber auch in der französischen Schweiz (EcoEglise) und in der Deutschschweiz (ECO Church Network) sehr unterschiedliche Kirchgemeinden partizipieren. Nach dem Massstab eines biblischen Verständnisses und der alten Kirche ist Eco Church eine Möglichkeit, auf die Fragen unserer Zeit zu antworten, ohne Nachfolge zu negieren, sondern sie gerade auch darin ernst zu nehmen. Die dahintersteckende Idee ist: Bewahrung der Schöpfung ist zentral, weil Gott nicht aufgehört hat diese gute Schöpfung gut zu finden und er wie vor 2'000 Jahren immer noch in dieser Schöpfung leben will, die Schöpfung aber auch erlösungsbedürftig ist. Eco Church ist eine Form, wie Glaube und Hoffnung mit gelebter Nachfolge Ausdruck finden – und das ist eine sehr gute Nachricht für ganz viele Menschen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Wochenmagazin IDEA Schweiz.
Zum Autor:
Lukas Gerber ist Koordinator Theologie & Bildung bei StopArmut Schweiz.
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Datum: 27.07.2023
Autor:
Lukas Gerber
Quelle:
IDEA Schweiz