Heilige Verschwendung

Ohne Lohn - oder doch mit?

Was ist der Lohn eines ehrenamtlichen Engagements?
Was ist der eigentliche Wert eines ehrenamtlichen Engagements und die sogenannte «Entlohnung von oben»? Tomas Sjödin hat beobachtet, was bei Ehrenamtlichen die Motivation ausmacht - und warum sie nicht aufgeben.

In der Kirchengemeinde, in der ich arbeite, geben wir in unserer Arbeit mit bedürftigen Menschen selten jemandem Geld. Wir geben den Leuten Lebensmittel und manchmal einen Gutschein. Wir betrachten das, was wir tun, als Hilfe für den Augenblick. Nun, eines Tages kam ein Mann zu uns und bekam einen Lebensmittelgutschein über 30 Euro. Er hatte wohl mehr erhofft und sah etwas enttäuscht aus, als er den Gutschein betrachtete. Ich sagte ihm: «Sie können gerne wiederkommen, wenn es wieder mal klemmt.» Sein Gesicht erhellte sich. «Gut, dann sehen wir uns morgen wieder!»

Ich habe seit über zehn Jahren das Glück und die Freude, eine Schar von etwa fünfzig Freiwilligen zu leiten, nachdem der Dienst unserer Gemeinde an den Bedürftigen in Göteborg förmlich explodiert war. Im Herzen dieser Arbeit ist ein Geheimnis, das ich wohl nie ganz verstehen werde. Es hat mit dem Thema «Lohn» zu tun. Unsere freiwilligen Mitarbeiter, die für ihre Tätigkeit keine Entlohnung bekommen, kommen bei ihrem Einsatz mit Menschen zusammen, die es so schwer haben, dass sie manchmal nicht mehr die Kraft haben, freundlich zu sein oder auch nur Danke zu sagen. Nicht selten erleben die Leute, die hier ihre Zeit opfern, um anderen zu helfen, es sogar, dass sie regelrecht angefahren werden. Was eigentlich nicht schwer zu verstehen ist: Wer es schwer hat, wird schwierig.

Aber trotzdem kommen unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter Woche um Woche wieder und arbeiten geduldig stundenlang, schleppen schwere Lasten, sortieren die noch guten Lebensmittel von den verdorbenen aus, verpacken sie und verteilen sie, und man hat den Eindruck, dass sie die grossen Profiteure sind. Es ist wie ein Leuchten um sie. Was sie tun, tun sie nicht, um ein Dankeschön zu bekommen; es ist ein selbstverständlicher Einsatz in einer Gesellschaft, wo die einen mehr und die anderen weniger haben. Aber es gibt hier eine Tiefendimension.

«Entlohnung von oben»

Irgendwo in diesem ehrenamtlichen, unbezahlten Einsatz liegt ein Geheimnis, eine Lebensqualität, die viel höher ist, als wenn man nur im Heute lebt, es sich ohne jedes schlechte Gewissen gutgehen lässt und mehr oder weniger tun und lassen kann, was man will. Die französische Philosophin Simone Weil hätte dies eine «Entlohnung von oben» genannt. In ihrem Buch Schwerkraft und Gnade schreibt sie über den Begriff der Entlohnung, also einer Gegenleistung oder Entschädigung, und verbindet diesen Begriff nicht mit dem Profitmachen, sondern mit der Gnade: «Die Gnade füllt, aber sie kommt nur dorthin, wo ein Leerraum ist, der sie entgegennehmen kann, und es ist die Gnade selber, die diesen Leerraum schafft. Wir brauchen Entlohnung. Wir brauchen es, dass wir genau so viel zurückbekommen, wie wir gegeben haben. Aber wenn wir dieses Bedürfnis beiseiteschieben und einen Leerraum entstehen lassen, entsteht eine Art Windzug, und es kommt eine Entlohnung von oben – dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Sie kommt nicht, wenn wir schon einen anderen Lohn bekommen haben; es ist der Leerraum, der bewirkt, dass sie kommt.»

Ich glaube, dass dies die Seele des Ehrenamtes und im Grunde genommen allen Dienens ist. Wenn wir geben, ohne zu erwarten, etwas zurückzubekommen, entsteht ein Leerraum und in diesem Raum ein Windzug, der uns in Berührung mit einem anderem Entlohnungssystem bringt als dem, das Geld oder Berühmtheit bringt. Ich glaube, dass es das ist, was Weil «Entlohnung von oben» nennt. In der Sprache der Christen gibt es ein sehr schönes Wort dafür: Segen.

«Das Wichtige ist, dass der andere sich freut»

Das Leben ist in Gefahr, wenn wir es daran messen, was es uns zurückgibt, und wir gewinnen das Leben, wenn der Gewinn uns egal ist. Vielleicht muss man auch den Glauben so sehen – als Liebe, über die man nicht Buch führen kann. Eine heilige Verschwendung, wie bei der Frau, die Jesu Füsse mit dem kostbarsten Öl salbte.

Ich habe einen älteren Bruder, der ein passionierter Sammler und Raritätenverkäufer ist. Er kennt sich voll aus mit allem, was man verkaufen kann – zum Beispiel Ansichtskarten, alte Abziehbilder oder Fischköder in Originalverpackung. Seine Geschäftsidee ist ebenso einfach wie überzeugend: «Je ungewöhnlicher oder merkwürdiger ein Gegenstand ist, desto grösser ist die Chance, dass es irgendwo einen Menschen gibt, der genau so etwas sucht.»

Einmal erzählte er mir von einer der zahlreichen Ansichtskarten, die er hatte verkaufen können. Es war eine lange und detaillierte Geschichte; wenn ich mich recht erinnere, zeigte die Karte einen Bootsliegeplatz in unserer Nähe. Ich stellte ihm die Frage (die einiges über mich selber verriet): «Wie schaffst du das? Das braucht doch sicher viel Zeit: Das Objekt finden, es fotografieren, es ins Internet stellen, den potentiellen Käufer kontaktieren, ein Paket draus machen, das Paket abschicken, die Bezahlung regeln... Was verdienst du denn unter dem Strich mit dem Verkauf von so einer Ansichtskarte?»

Er sah mich verdattert an und erwiderte: «Aber darum geht’s doch gar nicht! Das Wichtige ist doch, dass der andere sich freut – dass er mich anruft oder ein paar Zeilen schickt und mir verrät, was dieser scheinbar so unwichtige Gegenstand ihm persönlich bedeutet. Diese Freude, das ist mein Lohn!» In diesem Augenblick kam mir mein Bruder fast wie ein Heiliger vor.

Tomas Sjödin lebt in Schweden und ist dort renommierter Autor und Kolumnist. Seine Bücher sind fast alle auch auf Deutsch im SCM R.Brockhaus Verlag erschienen, zuletzt: «Im Land der Hoffnung steht mein Zelt».

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Datum: 27.05.2024
Autor: Tomas Sjödin
Quelle: Magazin Aufatmen 2/2024, SCM Bundes-Verlag

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