Missbrauch in Kirchen

Heikles Thema prominent behandeln!

Der Weinstein-Skandal im Oktober 2017 hat zur Folge, dass sich viele Opfer von sexuellem Missbrauch zu Wort melden, vor allem unter dem Hashtag #MeToo. Nun verbreitet sich ein weiterer Hashtag: Unter #churchtoo melden sich Menschen zu Wort, die in und im Umfeld ihrer Kirchengemeinde missbraucht worden sind. Auch bei reformierten Schweizer Pfarrerinnen wurden Grenzen schon massiv überschritten.
Predigender Pfarrer (Bild aus Gotthelf-Musical)

«Ich wurde von einem Mitglied meiner Kirchengemeinde missbraucht, als ich neun Jahre alt war. Der Pastor und meine Eltern sagten mir, dass ich ihm vergeben müsse, weil es das sei, was Jesus tun würde. Sie zwangen mich, meinen Vergewaltiger zu umarmen», schreibt eine Frau.

Gehorsam und Vergebung

Christian Rommert, Theologe und Aktivist für Kinderschutz, hat schon über 100 Kirchgemeinden in Deutschland zum Thema «sexueller Missbrauch» beraten. «Nach jeder Veranstaltung hat sich bei mir mindestens ein Betroffener oder eine Betroffene gemeldet», sagt er. Kirchgemeinden seien ebenso wie Sportvereine oder Schulen und Kindergärten Orte, an denen Täter sich sicher fühlten.

Den Fall der Frau, die ihrem Peiniger vergeben muss, hält er für typisch für Kirchgemeinden: «Es gibt spezielle Faktoren, aufgrund derer kirchliche Einrichtungen gefährdet sind. Dazu gehören der problematische Umgang mit Sexualität, die Themen Gendergerechtigkeit, Gehorsam und Vergebung, sowie der manchmal sehr dichte und familiäre Umgang miteinander.»

«Ich empfehle Kirchen, das Thema prominent zu behandeln», sagt er. Wichtig dabei sei es zu verstehen, warum Kirchgemeinden besonders gute Strukturen für Täter bieten. «Über lange Zeit haben sich Kirchen nur darüber Gedanken gemacht, wie sie kreative, inspirierende, fantasievolle Orte für Kinder und Jugendliche sein können. Die Frage 'Sind wir auch sicher? wurde vernachlässigt.»

Schweiz: «Grenzen massiv überschritten»

Und in der Schweiz? Auch bei reformierten Pfarrerinnen wurden Grenzen schon massiv überschritten, schreibt der Journalist Andreas Bättig in dem Wochenmagazin «ref.ch». Als ein hoher Schweizer reformierter Kirchenvertreter Carla Maurer vor einigen Jahren für ein kollegiales Gespräch ins Café einlud, dachte sich die Pfarrerin der Swiss Church in London nichts Böses.

«Plötzlich kam das Gespräch jedoch auf das Thema Sexualität zwischen Mann und Frau», erinnert sich Maurer. Was der Kirchenvertreter dann von sich gab, irritierte sie zutiefst. «Er sagte, dass Männer nunmal eine aktiv-aggressive Sexualität in sich tragen würden und Frauen eine passive. Deshalb müssten Männer manchmal über Frauen herfallen, um sich sexuell ausleben zu können.» Nicht nur die Bemerkung an sich empfand Maurer als unangebracht. Sie fühlte sich auch unwohl, weil sie überhaupt in so einen Dialog verwickelt wurde. Laut Maurer müssten Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch auch innerhalb der Kirche thematisiert werden.

Männer sind gefordert

Sie habe lange gezögert, mit dem Vorfall an die Öffentlichkeit zu gehen, weil dies negative Konsequenzen für ihre Karriere haben könnte. «Aber genau darauf wird ja spekuliert. Dass man aus diesem Grund bei Grenzüberschreitungen von Vorgesetzten schweigt. Das kann es nicht sein», sagt Maurer.

Für die Frauen brauche es kirchliche Fachstellen, an die sie sich wenden könnten, und bei der jede Übergriffigkeit auch ernstgenommen werde. Auf diese Fachstellen müsse aber aktiv aufmerksam gemacht werden, denn oft seien sie nur schwer zu finden. Und die Pfarrerin fordert, dass sich auch die Männer mit der Thematik auseinandersetzen: «Es kann nicht sein, dass man solche Themen an Frauengremien abschiebt.»

Auch die reformierte Pfarrerin Sibylle Forrer wurde schon zur Zielscheibe von sexuellen Anzüglichkeiten. Zwar nicht durch Kirchenvertreter, sondern von fremden Männern, die ihr beispielsweise Bilder ihres Glieds auf Facebook schickten. «Einige schrieben mir, dass es sie erregt, wenn ich den Talar anhabe», sagt Forrer. Oder dass sie es «heiss» fänden, dass sie Pfarrerin sei.

Pornografie im Unterricht thematisieren

Forrer findet, dass auch innerhalb der Kirche Geschlechterbilder thematisiert werden müssten. Als Beispiel nennt sie den hohen Pornokonsum vieler Jugendlicher und das daraus resultierende Männer- und Frauen-Bild. «Dieses ist höchst problematisch. Im Konfirmanden-Unterricht thematisiere ich das jeweils und versuche, den Zusammenhang zwischen Zwangsprostitution und Pornographie zu zeigen.»

Innerhalb der reformierten Kirchen gibt es verschiedene Fachstellen, an die sich Opfer eines sexuellen Übergriffs wenden können. Eine davon ist die Fachstelle Frauen, Männer, Gender der Reformierten Landeskirche Aargau. «Von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Kirche sind vor allem Sekretariatsmitarbeiterinnen betroffen», sagt Sabine Brändlin, die bei der Fachstelle tätig ist. «Geht es generell um Grenzüberschreitungen und sexuelle Übergriffe, sind insbesondere Kinder und Jugendliche sowie Seelsorgesuchende betroffen.»

Doch auch mit den Tätern und allenfalls Täterinnen setze sich die Fachstelle auseinander. «Wir zeigen auf, wo die Grenzen sind und was sie in ihrem Verhalten ändern müssen», sagt Brändlin. Zentral bei ihrer Präventionsarbeit sei, dass das Arbeitsklima innerhalb der Kirche von Respekt und Wertschätzung geprägt sei.

Die #metoo-Aktion findet Forrer wichtig. «Es ist gut, dass sich nun so viele Frauen zum Thema äussern. Wir müssen aber auch die Männer in die Pflicht nehmen.» Sie seien schliesslich jene, die Grenzen überschritten. «Auch sie müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen», betont Forrer.

Zum Thema:
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Datum: 29.11.2017
Autor: Willy Gautschi
Quelle: Livenet

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