Bill Shaw – Ein Leben für Versöhnung
Die «troubles», wie der Nordirlandkonflikt von den Einheimischen genannt wird, beherrschten Politik und Gesellschaft der grünen Insel von 1969 bis 1998. In diesen 30 Jahren starben Tausende von Menschen in einem Religionskrieg, der eigentlich keiner war. Die meist ärmeren und katholischen Republikaner suchten den Wiederanschluss von Nordirland an den inzwischen unabhängigen Rest des Landes. Die reicheren, zugezogenen protestantischen Unionisten wollten weiterhin zu England gehören. Die beiden verfeindeten Bevölkerungsgruppen lebten in stark voneinander getrennten Bezirken des Landes. In Städten wie Belfast waren es manchmal einzelne Strassenzüge, die von einer Gruppe beherrscht wurden. Hohe Mauern grenzten Wohngebiete voneinander ab. Scharfschützen und Bombenanschläge bestimmten den Alltag. Bis heute stehen noch viele «Friedensmauern», immer noch ist Abgrenzung normal, doch wenigstens wird nicht mehr aufeinander geschossen.
Architekt des Friedens
In diesem Umfeld wuchs Bill Shaw auf. Seine Mutter war eine überzeugte Protestantin. Was bedeutete, dass sie gegen die Katholiken war – nicht, dass sie eine Kirche besuchte. Sandy Row, das protestantische Zentrum Belfasts, war Shaws Zuhause. Seine erste bewusste Begegnung mit einem Katholiken hatte er im Alter von 17 (!) Jahren beim Jobben als Verkäufer. Wie seine Mutter hatte auch er mit Glauben nichts am Hut. Er studierte Architektur, wurde Bauplaner und gründete eine eigene Familie. Doch dann kam Gott ins Spiel…
Dem Sonntagsblatt erzählte Bill Shaw, dass er plötzlich eine Art Ruf Gottes hörte: «Mache mehr aus deinem Leben! Verkünde das Evangelium auf deine Art!» Und Shaw liess sich rufen. Er studierte Theologie, zunächst im Abendcollege, dann im regulären Studium. Seine erste Pfarrstelle trat er ausgerechnet in Shankill an. Das protestantische Arbeiterviertel in Belfast war ein Zentrum der «Ulster Volunteer Force». Diese paramilitärische Organisation stand in ständigem Kampf gegen die Irisch-Republikanische Armee (IRA). Shaw litt unter der Scheinfrömmigkeit der Kontrahenten, predigte den Frieden des Evangeliums – und erntete Kritik von seinen Vorgesetzten: «Du sollst beten und keine Sozialarbeit leisten.»
Zwischen den Stühlen
Bill Shaw hatte seine Lebensaufgabe gefunden. Immer wieder eckte er damit an. Die Katholiken hielten ihn für einen britischen Agenten, die Protestanten für einen Nestbeschmutzer. Doch Shaw war davon überzeugt, dass Versöhnung möglich war. Und so konfrontierte er die Hardliner beider Seiten immer wieder durch sein Handeln und Reden. Als Protestant und Pfarrer zog er mitten in ein katholisches Wohngebiet. Bei einer protestantischen Parade fragte er einen der Schärpenträger, der zu seiner Gemeinde gehörte, aber dort sonst nie erschien: «Du kannst an 51 Sonntagen im Jahr friedlich in die Kirche kommen. Warum kommst du nur einmal pro Jahr und machst dabei solchen Ärger?»
Ein hoffnungsvolles Projekt
1998 übernahm Shaw die Leitung eines Sozialprojekts an der sogenannten «murder mile», der Antrim Road in Belfast. Eine ehemalige protestantische Kirche wurde zum Begegnungszentrum umfunktioniert: «Trust 174» nennt sich das Projekt – wobei im Namen der Anspruch des Vertrauens mit der Hausnummer kombiniert ist. Ziel der Arbeit ist «eine starke, gerechte und friedliche Gesellschaft, die die Würde aller Menschen achtet und sie aufblühen lässt».
Im ehemaligen Kirchengebäude finden keine Gottesdienste im eigentlichen Sinne mehr statt. Doch die Menschen in der Umgebung spüren die verändernde Kraft des Evangeliums sehr deutlich, wenn sich Krabbelgruppen treffen, Theaterprojekte realisiert und Jobs vermittelt werden, wenn Schüler zur Hausaufgabenbetreuung kommen oder Nachbarn eine Tasse Tee zusammen trinken. Trust 174 existiert bereits 30 Jahre. Überflüssig ist die Versöhnungs- und Begegnungsstätte immer noch nicht. Nicht nur viele Steinmauern des Nordirlandkonflikts sind stehengeblieben, auch gesellschaftlich ist es noch ein weiter Weg zur Normalität. Gut, dass es Menschen wie Bill Shaw gibt, die ihr Leben für Versöhnung einsetzen. Die unermüdlich davon reden und es leben, dass Versöhnung möglich ist: «Arbeitet zusammen! Lasst uns diesen Ort besser machen! Seid vor allem Christen, nicht Katholiken oder Protestanten!»
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Datum: 31.05.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Sonntagsblatt