Kirche mit Witz, Zaubertricks und VIPs
«Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist», schrieb der deutsche Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Ähnlich fordert Thomas Schaufelberger eine «radikale Hinwendung der Kirche zu den Bedürfnissen der Menschen». Schaufelberger ist Ausbildungsleiter der Deutschschweizer Pfarrer der reformierten Landeskirche. Sieben Beispiele aus dem Kirchenalltag 2012:
Pfäffikon (ZH)
Zaubern im Gottesdienst: Adrian Jaggi veranschaulicht seine Botschaften mit Zaubertricks, zieht die Zuhörer in seinen Bann. Er lässt Gegenstände verschwinden, vermehrt Geldnoten oder zaubert aus dem Nichts ganze Kartenhäuser. Als Verkündiger liegt ihm daran, dass die Leute wirklich zuhören und er zeigt ihnen, warum es sich lohnt, genau hinzuschauen und hinzuhören.
Sargans
Die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Sargans organisiert Gottesdienste, die prominenten Gästen eine Plattform bieten, über Gott und die Welt zu sprechen. Bei diesen Gastpredigten geht es nicht um Vorträge, sondern um die Auslegung eines biblischen Textes durch nicht theologisch ausgebildete Frauen und Männer. Sie sprechen über ihre Motivation, ihre Werte. Und sie sprechen darüber, was ihnen die Bibel und der Glaube bedeuten.
Solothurn
Die Kirchgemeinde Solothurn nutzt ihr Gotteshaus mit dem baumbestandenen Park vielfältig als «Sommerkirche» mit kulturellen Akzenten und Spielgelegenheiten für Kinder. An vier Donnerstagen im Juni gibt‘s ein Bistro mit Grill-Möglichkeiten. Die Offene Mittagskirche bietet Erwerbstätigen eine «Kunst-Pause». Der Pfarrer meint: «Die Arbeit als Barkeeper macht mir Spass.»
Thun-Wattenwil
Pfarrer Samuel Hug mit Team gestaltet in Wattenwil bei Thun jeden zweiten Sonntag des Monats den «7vor7»-Gottesdienst – einen Jugendgottesdienst, der für alle Generationen offen ist. Der Jugendseelsorger ist zudem Pfarrer für christliche Metal-Fans. Er plant Heavy-Metal-Gottesdienste – eine Mischung aus Metal-Konzert und Gottesdienst. Dazu trifft man sich im Pfarrhausgarten bei «Bibel, Bier und Metal» zu Bibel- und Glaubensgesprächen.
Unterägeri ZG
Pfarrer Jürg Rother gestaltet mit «Soul on Sunday» ein Wellnessprogramm im Mehrzweckgebäude. Neben Intermezzi von Gastmusikern erzählen Menschen humorvoll, locker, ehrlich und tiefgründig Episoden aus dem Alltagsleben, welche danach diskutiert werden. Nach einer knappen Stunde lädt Rother zu einem einminütigen Gebet ein. Dann ist Zeit für Lachsbrötli und Prosecco.
Zofingen
Als der Rhetorik-Experte Patrick Rohr für den «Beobachter» sieben Predigten im ganzen Land beurteilte und mit den meisten wenig anfangen konnte, platzte Pfarrer Stefan Moll der Kragen. Er mochte den Vorwurf der langweiligen Predigten nicht länger hören und «engagierte» Patrick Rohr kurzerhand für einen Gottesdienstbesuch. Die Kirche war an diesem Morgen randvoll und die Predigt von Stefan Moll hat den Experten überzeugt: «Ehrlich, offen, kommunikativ.»
Zürich
Auf der offenen Rennbahn Oerlikon fand am Bettag 2012 ein experimenteller Gottesdienst von sechs reformierten Zürcher Kirchgemeinden statt. Die Predigt hielt ein Atheist – der Schauspieler Manuel Löwensberg. Geboten wurde eine Ateliermesse: Die Gäste konnten aus einem breiten Angebot auswählen: eine Kerze anzünden, eine Fürbitte formulieren, ein Seelsorgegespräch führen, einen Segen erhalten oder das Thema Heimat vertiefen. Motto: «Für Ungläubige, Zweifelnde und andere gute Christen».
690'000 Gäste versammeln sich gemäss einer Studie an einem gewöhnlichen Wochenende in Schweizer Kirchen. Jeder 11. Schweizer ist also am Wochenende in einem Gottesdienst. Das ist deutlich mehr als beim Fussball oder Eishockey! Wann besuchen Sie wieder mal einen Gottesdienst?
Datum: 18.12.2012
Autor: Markus Baumgartner
Quelle: viertelstunde für den Glauben