Trump und die Evangelikalen

Wird «evangelikal» zum Unwort des Jahres?

Der Begriff «evangelikal» ist als Selbstbezeichnung innerhalb der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) und bei Freikirchen schon lange umstritten. Nach der Wahl Trumps ist er mega-out.
Auch Franklin Graham, einer der führenden Pastoren der evangelikalen Szene der USA, war an Trumps Inauguration vertreten.
Paula White spricht in ihren TV-Sendungen oft davon, wie «finanzielle Wunder» von Gott empfangen werden können.
Tobias Faix

Die Rolle der amerikanischen Christen aus dem (rechts)evangelikalen Lager bei der Wahl und der Amtseinführung des neuen Präsidenten hat eine Kaskade von Peinlichkeiten hervorgebracht. Sie haben es nicht nur geschafft, ihn gegen das Versprechen von Macht (Trump hat das Versprechen eingelöst, wenn man seine Ministerriege konsultiert) zu wählen, sondern sie übersahen auch seinen ganzen prägnant unchristlichen Lebenswandel, einfach in der Hoffnung, dass er evangelikale Werte wie ein Abtreibungsverbot neu installiert. Der einzige Ausweis für ein angeblich christliches Leben ist aus der Sicht des Wohlstandsevangeliums, vertreten an der Inauguration durch Paula White, der grosse Reichtum des neuen US-Präsidenten.

Trump im Regen – Zeichen des göttlichen Segens

Auch bei diesem Anlass kam es zu Peinlichkeiten. So sagte Franklin Graham, Sohn des angesehenen Evangelisten Billy Graham, zu Beginn seiner Rede, dass Regen in der Bibel als ein Zeichen für den Segen Gottes gelte – und es habe angefangen zu regnen, als Trump die Bühne vor dem Kapitol betreten habe. Trump selbst zollte den (gemäss Umfragen vor allem älteren und weissen evangelikalen Wählern) Respekt, indem er eine eigene Bibel an die Inauguration mitbrachte und in seiner Rede erklärte: «Wir werden von den grossartigen Männern und Frauen unseres Militärs und der Sicherheitskräfte beschützt. Und, was am wichtigsten ist, wir werden von Gott beschützt.»

Nehemia und der Mauerbau

Trump hatte noch vor der Amtseinführung eine private Andacht in der episkopalen «Präsidentenkirche» St. John arrangiert, in der Robert Jeffress, Pastor der Megakirche «First Baptist Church» in Dallas, predigte. Dieser hatte im Vorfeld angekündigt, dass er in seiner Predigt Trump mit einem anderen «grossen Führer» – Nehemia – vergleichen werde. Diesen habe Gott vor 2500 Jahren aufgetragen, eine gewaltige Mauer um Jerusalem zu bauen, um die Bewohner zu schützen. Jeffress unterstützt die Pläne Trumps, die Grenze zu Mexiko stärker zu sichern.

Hoffnung auf gottgemässe Agenda

Nach der Wahl von Trump erklärte Tobias Faix, Professor an der CVJM-Hochschule in Kassel, in einem Beitrag auf «Zeit-online» die Motive der evangelikalen Trump-Wähler. Er erwähnte dazu Äusserungen Franklin Grahams, der den Wahlsieg von Trump mit einem «Gott-Faktor» erklärt habe, «der die aktuelle gottlose Agenda überwinden wird». Allerdings hätten immerhin 19 Prozent der weissen Evangelikalen und die meisten schwarzen und lateinamerikanischen Evangelikalen dennoch für Clinton gestimmt, wie es die meisten Christen in Deutschland wohl auch getan hätten.

Braucht das Evangelium die Macht?

Faix stellt aber fest: «Auch wenn hier vieles anders ist und es Evangelikale amerikanischer Prägung kaum gibt, so spaltet die Angst und Sorge um unser Land zunehmend auch hier evangelikale Kreise.» Faix dürfte dabei an die Sympathie auch in evangelikalen Kreisen für die «Alternative für Deutschland» AfD gedacht haben. Denn: «Den Wunsch nach einer 'moralischen Wende' gibt es auch bei konservativen Evangelikalen in Deutschland. Das ist gefährlich.» Und er fragt an die Adresse der deutschen Evangelikalen: «Welche Werte sind wir bereit, für die Macht zu opfern? Was bedeutet uns das Evangelium, und welche Rolle soll es in unserer Gesellschaft spielen?»

Der Trump-Faktor als neues Stereotyp gegen Freikirchen?

Es darf uns nicht wundern, wenn den «Evangelikalen» in der Schweiz, worunter besonders die Freikirchen subsummiert werden, in Zukunft neben den bestehenden Stereotypen auch die Trump-Wahl um die Ohren geschlagen wird. Statt nur dagegen zu protestieren, müssen die Hausaufgaben gemacht werden. Die Diskussion um den gesellschaftlichen und politischen Auftrag der Christen wird wieder geführt werden müssen, und es wäre zu hoffen, dass dabei bestehende Mauern zwischen Parteien, die sich als christlich verstehen, abgebrochen werden können. Der Freikirchenverband hat dazu vor zehn Jahren das Positionspapier «Suchet das Wohl des Landes» publiziert, das nun wieder aktueller geworden ist.

Zum Thema:
Generation Y und ihr Glaube: Tobias Faix: «Das Wie ist entscheidend»
Der Christ und die Politik
Dossier Freikirchen-Positionspapier

Datum: 24.01.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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