Radikal und niemals lau
Jesus als Vorbild für Eltern
Er gehört zu den bekanntesten Kinderpsychologen in Deutschland und hat gut ein Dutzend Erziehungsratgeber verfasst. Jetzt hat Wolfgang Bergmann an ungewöhnlicher Stelle ein neues Vorbild entdeckt. In seinem Buch «Geheimnisvoll wie der Himmel sind Kinder» erklärt der Therapeut aus Hannover, was Eltern vom biblischen Jesus lernen können. Ihn beeindrucke an Jesus eine Haltung, die für Pädagogen beispielhaft sein sollte: «Sie kann dafür sorgen, dass ein deprimiertes Kind nach zwanzig Minuten lacht.»
Bergmann beschreibt Jesus als kompromisslos. Er sieht in ihm jemanden, der sich gegen den Mainstream stemmt. Jesus sei konkret und nicht abstrakt, radikal und niemals lau. «Humpelnd und stolpernd hampele ich hinter diesem gewaltigen Vorbild hinterher», sagt der Kinderpsychologe, der auch selbst nicht zu Kompromissen neigt. Er findet meist deutliche Worte, etwa wenn er Kollegen wie Bernhard Bueb oder Michael Winterhoff widerspricht, die für mehr Disziplin in der Erziehung werben.
Keine perfekte Kinder
In seiner Kritik an deren Thesen bleibt sich Bergmann auch in seinem neuen Buch treu. Leistungsdruck und Perfektionszwang verurteilt er: «Was lernen wir also als Eltern von Jesus? Dies: Hört bloss auf, eure Kinder perfekt zu wollen.» Erneut wendet er sich auch gegen Kindertagesstätten, in denen schon die Kleinsten nach seiner Meinung «auf Biegen und Brechen» gefördert werden: «Nehmen wir Jesus zum Beispiel, dann schicken wir unsere Kinder nicht in Vorschul-Einrichtungen, die sie zu 'Little Giants' oder 'Kids auf der Überholspur' erziehen.»Von Liebe geprägt
Es mache ihn zornig, wenn etwa über einen hyperaktiven Jungen «in der Klassenkonferenz geurteilt wird wie in einem Gerichtsverfahren», sagt Bergmann. Jesus habe dagegen eine Haltung, die von Liebe zu den Menschen geprägt sei, erläutert der 62-Jährige. Ein «einzigartiges pädagogisches Weiterbildungskonzept» nennt er zum Beispiel, das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Jesus erzählt darin von einem Hirten, der 99 Schafe zurücklässt, um nach dem einen verirrten zu suchen. Mit Freude statt mit Ärger und Strafe nehme er es wieder auf, sagt Bergmann. «Das sollte eine Grundformel der Erziehung sein.»Veränderter Blick
Kinder, die überall aus dem Rahmen fallen, landen in der Praxis des Psychologen. Wenn er von dem besonderen Draht spricht, den er zu ihnen hat, leuchten seine Augen. «Ein Mädchen hat gesagt, mit meinem Vater kann ich nicht reden, der ist zu alt», lacht er: «Der Vater hätte mein Sohn sein können», sagt der dreifache Vater Bergmann. Sein neues Buch hat er wie schon das frühere «Die Kunst der Elternliebe» seiner Tochter gewidmet. «Ein Kind zu haben, verändert den Blick», sagt der Kinderpsychologe.An Kindern freuen
Bergmann empfiehlt, ein Kind einfach nur anzusehen und sich an der Kontur seines Gesichtes, an seiner puren Existenz zu freuen.«Vielleicht klingt es überstiegen, aber ich behaupte trotzdem: ein Kind zu lieben, das ist wie die Nachfolge Jesu antreten, ob wir dabei den Gottesglauben teilen oder nicht, ist ganz gleichgültig», schreibt er. Bergmann bezeichnet sich selbst als ungläubig, auch wenn er Mitglied der evangelischen Kirche ist und als Jugendlicher sogar einmal Pastor werden wollte.
Datum: 05.04.2010
Quelle: Epd