Himmel 4.0

Warum die Wirtschaft das Evangelium braucht – eine Buchrezension

«Da können sich die Christen eine Scheibe von der Wirtschaft, der Psychologie, der Technologie etc. abschneiden…», so lautet die durchaus richtige Schlussfolgerung vieler Veröffentlichungen. Erik Händeler dreht den Spiess um. Er behauptet, dass Wirtschaft und Gesellschaft stark von christlichen Werten profitieren können, sie geradezu dringend brauchen.
Erik Händeler ist Wirtschaftswissenschaftler, Zukunftsforscher und Publizist.
Buchcover «Himmel 4.0»

«Himmel 4.0» heisst sein schmales, aber gehaltvolles Buch, «Wie die digitale Revolution zur Chance für das Evangelium wird». Den Titel hat es von einem der Hauptthemen von Wirtschafts- und Industrieverbänden geerbt, der «Industrie 4.0». Dampfmaschine und Eisenbahn waren nach dieser Zählung die erste Industrielle Revolution. Industrie 2.0 beschreibt die Elektrifizierung inklusive Erfindung des Fliessbands und des Autos, Industrie 3.0 den Computer. Das Internet der Dinge, die jetzige Herausforderung, wird als Industrie 4.0 bezeichnet.

Orientierung ist nötig

Noch wird vielerorts der Individualismus gefeiert, doch laut Händeler ist das Ende seiner Überbetonung längst in Sicht. Ob in der Politik, in gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Fragen: «Orientierungsdebatten rücken als Thema ganz nach oben» (S. 8). Die immer komplexer werdenden Herausforderungen unserer Zeit benötigen offensichtlich ein neues Herangehen. Händeler analysiert: «Davon sind wir im richtigen Leben weit entfernt: Die vielen Skandale – der Betrug um die Emissionen in der Autoindustrie, die Korruption bei der Fifa oder das Verschweigen von sexuellem Missbrauch, um die Institution zu schützen – zeigen, dass noch meist eine Ethik verbreitet ist, in der ein Einzelner seinen Nutzen optimiert oder man sich in Seilschaften organisiert, das Allgemeinwohl plündert und als Gruppe andere Gruppen bekämpft. Wohlstand ist in der Wissensgesellschaft aber nur möglich durch eine Universalethik, die über Gruppe und Individuum hinausweist» (S. 11).

Universalethik ist gefragt

Eine solche Universalethik kann der christliche Glaube beitragen. Selbst ein «ungläubiges» Befolgen biblischer Prinzipien wie der Nächstenliebe führt laut Händeler zu einer Verbesserung des Hier und Jetzt. Dies ist allerdings kein Selbstläufer. Verbreitet sind immer noch die Gruppenethik («Ich tue alles für mein Volk/meine Religion und bekämpfe alle ausserhalb») und die Individualethik («Ich mache, was ich will bzw. was mir guttut»). Bis zu einer akzeptierten Universalethik («Ich interessiere und engagiere mich für mein eigenes und das gleichberechtigte Wohlergehen des anderen») liegt noch ein weiter Weg vor unserer Gesellschaft. Händeler geht von wirtschaftlichen Fragen aus. Er interessiert sich schwerpunktmässig für höhere Produktivität. Trotzdem hält er fest: «Christentum ist Zukunftsreligion, weil das Evangelium das Wohl aller einschliesst, auch jener ausserhalb der eigenen Gruppe» (S. 59).

Streitkultur ist der Weg

Ein wichtiges Stichwort für Erik Händeler ist Streitkultur. Ihr widmet er ein ganzes Kapitel. Das geht damit los, dass sich ein gesellschaftliches oder wirtschaftliches Denken nicht einfach so durchsetzen wird. Für ein neues Denken, eine Universalethik muss man streiten. Aber wie? Händeler zeigt an dieser Stelle auf das Werben der ersten Missionare und das Kommen Gottes auf unsere Augenhöhe, wobei das Gegenüber jeweils frei war, Entscheidungen zu treffen. Auch von christlicher Seite her ist dies ein Übungsfeld, keinesfalls haben Kirche und Gemeinde dies im Griff. «Wie alle Wissenschaften schlägt auch die Theologie vielfach die Schlachten früherer Zeiten. Sie wird merken, dass sie in eine neue Zeit mit anderen Fragen kommt. Individualistische Strömungen werden in den Hintergrund treten und Platz machen für eine überindividuelle 'Theologie des Streitens'» (S. 74).

Wer liest dieses Buch?

Schon von seinem Umfang her will das Buch keine gründliche Abhandlung sein. Dann schon eher eine Streitschrift im Sinne der angemahnten Streitkultur. Trotz aller Anregungen zum Umdenken geht Händeler ausschliesslich von einer westlich geprägten Kultur und Wirtschaft aus. Er drückt sich zwar nicht kompliziert aus, bewegt aber sehr komplexe Gedanken. So ist mehr als nur ein bisschen wirtschaftliches Grundinteresse nötig, um ihm zu folgen.

«Himmel 4.0» ist sicher keine entspannte Abendlektüre, aber es bietet gute Anregungen für alle, die ihr Christsein im Spannungsfeld der Verantwortung in Firma und Gesellschaft leben wollen. Die ihre Umwelt gestalten wollen. «Wenn sich der aufgewirbelte Staub der Veränderung gelegt haben wird, tritt eine Welt zutage, in der das Evangelium ganz neue Chancen hat, erzählt, bedacht und umgesetzt zu werden» (S. 19).

Erik Händeler (49) ist deutscher Wirtschaftswissenschaftler, Zukunftsforscher und Publizist. Der Keynote-Sprecher gehört mit seinen Wirtschaftsthemen zu den deutschen Topreferenten (Top 100 Excellent Speakers). Als Christ zieht er immer wieder Parallelen zu Glaubensinhalten. Händeler ist verheiratet und hat drei Kinder.

Erik Händeler: Himmel 4.0. Wie die digitale Revolution zur Chance für das Evangelium wird, 112 Seiten, Brendow Verlag, Moers, ISBN 978-3-96140-022-5, SFr 15,00 / EUR 10,00.

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Datum: 10.02.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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