Ehe ist mehr als nur «ein Fall für zwei»
Wilf Gasser, mit welchen Worten haben Sie sich heute Morgen von Ihrer Frau verabschiedet?
Wilf Gasser: Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht mit Sicherheit. Aber häufig sage ich ihr zum Abschied «Bhüet di Gott» und «Ich ha di lieb». Ich habe dies vor Jahren von einem alten Mentor gelernt. Er empfahl mir, damit nicht zu warten, bis die Frau zu fragen beginnt: «Hast du mich eigentlich noch lieb?» Dann gerät man nämlich sofort leicht in die Defensive… Ich sage ihr dies jeweils nicht, weil ich schon am Morgen Schmetterlinge im Bauch habe, sondern als Ausdruck meines Willens: «Ich meine dich. Ich will mit dir. Ich bin gerne mit dir unterwegs.»
Neuere Untersuchungen belegen, dass Ehepaare immer weniger miteinander reden…
Wilf Gasser: Das kann ich mir gut vorstellen! Meine Frau hat sich deswegen vor wenigen Tagen auch beklagt. Sie kriegt aber dafür von mir häufig E-Mails (schmunzelt)... Und auch da kann man jeweils noch eine kleine Bemerkung anhängen, die etwas von Verbundenheit und Wertschätzung ausdrückt.
Christa Gasser: Das Gespräch unter langjährig verheirateten Paaren war wohl noch nie allzu intensiv. Ich hörte mal einen Mann seinen Traum vom Alter erzählen: «Ohne Worte – weil man sich ja einfach versteht, Händchen haltend mit seiner Frau auf dem Ofenbänkli zu sitzen.» Als Frau war ich total schockiert. Für mich gehören Gespräch und Beziehung zusammen. Aber dabei spielen sicher auch die Persönlichkeit und das Geschlecht eine Rolle.
Sind auch christliche Paare betroffen?
Christa Gasser: Natürlich! Aber in christlichen Kreisen wird häufiger davon gesprochen, wie wichtig die Investition in die Beziehung ist. Es wird immer selbstverständlicher, dass Paare auch mal einen Ehekurs besuchen, sich mit ihrer Unterschiedlichkeit auseinandersetzen und präventiv an der Beziehung arbeiten.
Wilf Gasser: Unsere Seminare zum Thema Sexualität beispielsweise sind gut besucht. Wir sehen hier als wichtigstes Ziel, das Gespräch zwischen den Paaren anzuregen. Oder ihnen überhaupt in diesem Thema eine gemeinsame Sprache zu vermitteln.
Annähernd jede zweite Ehe wird geschieden, zumindest bis letztes Jahr. Seither wurde wieder mehr geheiratet. Eine Zwischenerscheinung oder eine sanfte Trendwende?
Wilf Gasser: Ich habe noch nicht den Mut, von einer Trendwende zu reden. Aber sicher wird das Thema «Verbindlichkeit» in den nächsten Jahren auch von säkularen Therapeuten wie Prof. Guy Bodenmann vermehrt in die Diskussion einfliessen. Denn selbst junge Menschen suchen nicht in erster Linie das Abenteuer, sondern wünschen sich eigentlich Sicherheit und Verlässlichkeit. Nur wissen sie nicht mehr, wie man das im Alltag leben kann.
Christa Gasser: Und gerade da haben wir als Christen und auch als Kirchen eine grosse Chance, den Leuten zu zeigen, dass Beziehung lernbar ist. Bis hinein in die Sexualität.
Was sagen Sie Menschen, denen die traditionelle Ehe nicht mehr erstrebenswert erscheint?
Christa Gasser: Diese Menschen müssen wir bei ihrer Sehnsucht nach verlässlichen Beziehungen abholen. Und ihnen aufzeigen, dass die Verbindlichkeit einer Ehe eben erst das Fundament schafft, auf welchem wir uns dann auch auf schwierige Beziehungsprozesse einlassen können. Wer dieses «Ja» nicht gibt, lässt sich nicht vollständig auf die Beziehung ein. Vielleicht aus Angst vor dem eigenen Unvermögen. Aber vielleicht auch, weil man sich im Andern nicht ganz sicher ist.
Wilf Gasser: Mit dieser Zurückhaltung wird aber unser «Ehe-Diamant» nie wirklich zu seiner ganzen Schönheit geschliffen werden können. Man fährt mit angezogener Handbremse. Erst die Verbindlichkeit einer Ehe schafft den Boden, auf dem wir uns dann auch auf schwierige Beziehungsprozesse einlassen können.
Sind nicht auch Unverbindlichkeit, grösstmögliche Freiheit, Karriere oder «Geld statt Kinder» Grund für die Unlust zur Ehe?
Wilf Gasser: Das spielt sicher eine Rolle. Frauen beklagen sich nicht zu Unrecht, dass viele Männer eigentliche Weicheier sind, die nie aus dem Gameboy-Alter herausgewachsen sind und jede Herausforderung und Verantwortung in Beziehungen scheuen.
Christa Gasser: Und auch hier ist es wohl oft einfach die Angst davor, zu versagen. Oder viele haben gar keine Vorstellung davon, was Verantwortung in Beziehungen eigentlich heisst. Auch hier kann die christliche Gemeinde mit guten Rollenvorbildern eine grosse Hilfe sein.
Weniger funktionierende Ehen gleich weniger intakte Familien: Trifft diese Gleichung Ihrer Ansicht nach zu?
Wilf Gasser: Ganz klar, hier schliesst sich der Teufelskreis. Denn ohne intakte Familie fehlt die Vorstellung, beziehungsweise man hat unrealistische Vorstellungen davon, was eine gute Beziehung eigentlich ausmacht. Und hat damit schlechtere Karten für eine gelingende Ehe.
Christa Gasser: Aber auch hier gibt es eine gute Nachricht: Man muss und kann dann eben viel bewusster an der Beziehung arbeiten und in die Ehe investieren. Sozialkompetenz ist lernbar.
Welche längerfristigen Folgen hat das Scheitern einer Ehe?
Christa Gasser: Jedes Scheitern einer Ehe bringt nicht nur enormen persönlichen Schmerz, sondern zerstört langfristig das Vertrauen in sich selbst wie auch in andere. Die «Jungfräulichkeit» des Vertrauens – oder des Sich-Anvertrauens – geht verloren. Dies ist für viele Menschen mit einem langfristigen Verlust an Lebensqualität verbunden.
Wilf Gasser: Ganz zu schweigen von den gesellschaftlichen und vor allem auch ökonomischen Folgen. Das «MarriageWeek»-Team möchte eine Studie machen lassen über die volkswirtschaftlichen Kosten von Familientrennungen. Diese gehen in die Milliarden, wenn man alles zusammenzählt: erhöhte Lebenshaltungskosten, erhöhter Wohnungsbedarf, Verlust an Wirtschaftskraft und Steuern, soziale und Gesundheitskosten, vorübergehend oft massiv eingeschränkte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz…
Wie wirkt sich der Fakt aus, dass die Anzahl Kinder pro Frau statistisch gesehen abnimmt?
Christa Gasser: Unser «Kleinfamilien-Denken» ist ungesund. Man fokussiert in einer Kleinfamilie oft zu sehr auf das einzelne Kind und sucht das romantische Familienglück im kleinen Kreis. Wenn Kinder und Familienglück zum Götzen werden, verliert man oft alles, was man so sehr zusammenhalten wollte. Beziehungen in der christlichen Gemeinde, aber auch Spielgruppen usw. können sicher einiges kompensieren. Wir ermutigen Familien zu mehr Kindern. Aber wir haben selber erlebt, dass uns trotz Kinderwunsch einfach keine weiteren mehr geschenkt wurden.
Wilf Gasser: Familie ist und bleibt letztlich immer ein Geschenk, das man nicht erzwingen und auch nicht krampfhaft selber festhalten kann. Glücklich ist, wer in Ehe und Familie das Wort Gnade buchstabieren lernt.
Sie sind als Paar- und Sexualtherapeuten tätig. In welchen Fällen wird um Hilfe nachgesucht?
Christa Gasser: Das kann sehr unterschiedlich sein, von eher präventiven Gesprächen bis zum Ehebruch. Aber gemeinsam ist wohl allen Paaren die Erkenntnis, dass der bisherige Weg eine Sackgasse war und ihre Ehe potenziell bedroht ist.
Wilf Gasser: In der Sexualität steht natürlich oft das Thema «mangelnde Lust» im Vordergrund. Dies wandelt sich dann im therapeutischen Gespräch meist in Richtung von «Druck und Freiheit» in der sexuellen Begegnung.
Was stellt Sie in Ihrer Tätigkeit am meisten auf?
Christa Gasser: Wenn Menschen in der Therapie Gottes Angebot für sich persönlich zu verstehen beginnen und dann auch in der Partnerschaft immer mehr in eine neue Freiheit hineinfinden. Dies hat oft Auswirkungen auf die ganze Familie.
Gibt es auch «hoffnungslose» Fälle?
Wilf Gasser: Wenn Paare nur unsere Hilfe suchen, um «Munition» zu bekommen für den Ehe-Zweikampf, dann müssen auch wir das Handtuch werfen.
Bitte ergänzen Sie: Der Mann, die Frau müsste…
Christa Gasser: …für sich selbst die Verantwortung übernehmen. Solange ich meinen Ehepartner oder die Ehepartnerin für meine Unzufriedenheit und mein Unglück verantwortlich mache, verändert sich gar nichts. Ich muss lernen zu fragen, was ich selber zur gewünschten Veränderung beitragen kann. Und sicher ist es hilfreich, Gott einen prägenden Platz in der Beziehung zu geben. Dies lernt man besser schon präventiv, beziehungsweise vor der Krise.
Welche Erwartung haben Sie an Kirchen und Gemeinden?
Wilf Gasser: Dass Ehe auf ermutigende Art immer wieder thematisiert wird. Und dass schon durch die Ehevorbereitung klar wird, dass man an jeder Beziehung arbeiten muss. Dass dies aber auch Freude macht und letztlich Erfüllung bringt. Die «MarriageWeek» kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten!
Diesen Text hat uns freundlicherweise das idea Spektrum Schweiz
zur Verfügung gestellt. Die vollständige Fassung befindet sich in der
Ausgabe 6/2013 von idea Spektrum Schweiz.
Dr. med. Wilf Gasser (56) ist Paar- und Sexualtherapeut, Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) und assoziierter Sekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz. Christa Gasser (57) ist Leiterin in der Vineyard Bern (u.a. Bereich Beziehungen), Ehe und Sexualtherapeutin. Zusammen haben sie drei erwachsene Kinder.
7. bis 14. Februar ist «MarriageWeek»
«Warum investieren Menschen so viel Zeit und Geld in die Einrichtung ihrer Häuser und so wenig in ihre Beziehung, für die sie ja eigentlich eine Wohnung oder ein Haus haben?» Diese Frage stellte sich der britische Unternehmer Richard Kane 1996 in einem Baumarkt. Seine Idee löste in England eine grosse Bewegung aus, die 2005 auch in die Schweiz kam. Die «MarriageWeek» vermittelt Ideen, um den Ehe-Alltag lebendig zu erhalten. In Kirchen und Gemeinden wird daran erinnert, dass echte und dauerhafte Beziehungen möglich sind. In Erneuerungs-Gottesdiensten werden Paare gesegnet und zahlreiche Events laden dazu ein, das «Abenteuer Ehe» zu feiern. Abschluss und Höhepunkt der Woche ist der Valentinstag (14. Februar). Auf der Webseite sind zahlreiche Angebote aufgeschaltet.
Datum: 06.02.2013
Autor: Thomas Feuz
Quelle: ideaSpektrum Schweiz