«Väter schaffen gute Lebensräume»
idea Spektrum: Paul Veraguth, Sie halten eine Vortragsserie in Gwatt mit über 60 Abenden zum Thema: «Die grosse Geschichte des Vaters». Wer sich herumhört, weiss, dass die Vaterthemen wie «Vaterlandsliebe» oder «Patriarchen» auf wenig Interesse stossen, schon fast das Gegenteil. Wozu dieser Aufwand?
Paul Veraguth: Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich verfasste 1963 sein berühmtes Buch über die «vaterlose Gesellschaft». Aus seiner Erfahrung wusste er zu berichten, wo es bei vielen Einzelschicksalen hinführt, wenn Väter nicht da sind, einfach fehlen. Kinder gehen dazu über, einen fehlenden Vater durch anderes zu ersetzen. Frauen sind extrem herausgefordert, wenn sie alleinige Erziehungsverantwortung tragen müssen, und die Gesellschaft hilft sich mit neuen Modellen über die Vaterwunden hinweg. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu wissen, dass das Hauptgebet des christlichen Abendlandes «Unser Vater» heisst.
Aber die Väter hinterlassen im Judentum und im biblischen Zusammenhang doch einen patriarchalischen Eindruck. Und genau solche Patriarchen haben das Leben vieler Menschen beeinträchtigt, das wissen die Geschädigten und ihre Psychologen.
Wenn man denkt, wie Abraham sogar für Sodom um Gnade gefleht hat, so korrigiert sich das Bild eines sturen und rechthaberischen Tyrannen sofort. Ich bin nicht der Meinung, dass «Vater» eine geschützte Machtposition ist. Ein Vater ist jemand, der für seine Familie einen guten Lebensraum schafft, unter grossem Einsatz und vielleicht unter schwierigen Bedingungen. Dies hat mit Entbehrung, Verantwortung, Leidenschaft und Fürsorglichkeit zu tun, aber auch mit viel Einfühlung. Jesus lehrte seine Nachfolger, einem solchen Vater mit einem einfachen Gebet das Vertrauen auszusprechen.
Ist es nicht gerade die Errungenschaft des Westens, dass wir das sogenannte «Vaterland» endlich überwunden haben?
Noch immer leben die meisten Menschen in ihrem Vaterland, wie ja auch praktisch alle ihre Muttersprache sprechen. Zu glauben, dass dies alte Zöpfe sind, überholte Auffassungen und Hindernisse für eine freie Zukunft, betrachte ich als einen Trugschluss. Heimatlosigkeit und mangelnde Volkszugehörigkeit tut niemandem auf Dauer gut. Ein glücklicher Mensch ohne Herkunft und Wurzeln ist ein Phantom. Geschichte hat immer mit Völkern zu tun, auch wenn sie gewandert sind und sich teils vermischt haben. Dies hat ihre Identität verändert, aber nicht aufgehoben. Man kann weder die Völker noch ihre Väter wegphilosophieren. Die USA werden Trump verkraften, nicht aber Kräfte, die die Verfassung der Gründerväter aushöhlen.
Was muss sich ein Interessierter unter dem Thema «Die grosse Geschichte des Vaters» vorstellen?
Wenn wir unser jüdisch-christliches Abendland verstehen wollen, und damit auch unser kulturelles und geistiges Erbe, so stossen wir auf eine unglaubliche Geschichte: Ein Vater sucht seine Kinder. Oder vielleicht eher: Kinder der «vaterlosen Gesellschaft» suchen den Anker ihrer Existenz, und stossen auf einen Vater, der sich finden lässt. Wenn Gott einen treffenden Namen für sein Profil hat, so eben «Unser Vater». In den 60 Dienstagabend-Vorträgen im Gwatt (Moosweg 5) geht es mir schon um diese eine grosse Geschichte, die ich anhand von biblischer Archäologie und geistesgeschichtlichen Entwicklungen nachzeichne. Israel als «Vätervolk» und Träger einer besonderen Messias-Vision spielt dabei eine grosse Rolle, aber auch die Zeit, in der wir leben, die «vaterlose Gesellschaft» also, und die Zeiträume, die vor uns liegen.
Vorträge vom Vater, der über der «vaterlosen Gesellschaft» steht
Pfarrer Paul Veraguth beginnt am 3. Oktober 2017 eine 60-teilige Vortragsreihe am Moosweg 5 in Gwatt bei Thun. Thema ist «Die grosse Geschichte des Vaters». Der Referent betrachtet die Heilsgeschichte unter dem Gesichtspunkt des Vaters, der seine Kinder sucht und findet. Kontroverse und gesellschaftskritische Themen fallen unter den erlösenden Aspekt des Vaterherzens Gottes.
Zum Thema:
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Datum: 30.09.2017
Autor: Friedrich Häner
Quelle: idea Spektrum Schweiz