Welcher Kampf war der wichtigste, Frau Kässmann?
Margot Kässmann: Ja, ich bemerke auch, dass sich Menschen weit über kirchliche Kreise hinaus an diese beiden Sätze erinnern.
Den
ersten Satz haben Sie bei Ihrem Rücktritt als Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gesagt, nachdem Sie mit
Alkohol am Steuer erwischt wurden. Es ist geradezu paradox: Ihr
Rücktritt hat Sie ausserhalb der Kirche erst richtig populär gemacht.
Das
war für mich eine merkwürdige Erfahrung. Da war die Skandalisierung in
den Medien am Dienstag, mein Rücktritt am Mittwoch und am Donnerstag
schon die Rehabilitation in der Öffentlichkeit. Ich bin heute noch froh,
dass ich damals auf mein inneres Gefühl gehört habe und diesen Weg
gegangen bin, obwohl mir viele geraten haben, es anders durchzustehen.
Dass dann aber so viele Menschen ihre Sympathie für mich ausgedrückt und
mir Respekt für den Rücktritt gezollt haben – das habe ich nicht
erwartet. […]
Sie sind im Laufe Ihrer Karriere immer
schnell und kompromisslos mit schlechten Nachrichten an die
Öffentlichkeit gegangen – im Falle Ihres Rücktritts ebenso wie nach
Ihrer Krebsdiagnose und im Verlauf Ihrer Scheidung. Hatten Sie Angst vor
der Presse oder sind Sie einfach nur ehrlich?
Es
war nicht mein grösster Wunsch, meine Krankheit öffentlich zu machen.
Aber wenn eine Landesbischöfin von heute auf morgen drei Monate lang
keine Termine mehr wahrnimmt, lässt sich das nicht geheim halten. Die
Leute hätten ohnehin gefragt, ob ich Krebs habe oder ob es eine
Depression ist oder noch etwas anderes. Es hätte tausend Gerüchte
gegeben. Da habe ich es lieber gesagt. Brustkrebs zu haben ist keine
Schande.
Diese Strategie wirkte auf manche wie Selbstvermarktung.
Ich
denke, die Leute können von einer Landesbischöfin erwarten, dass sie
sich erklärt. Ich hätte mich auch nicht heimlich scheiden lassen können.
Sobald eine Akte mit meinem Namen bei Gericht auftaucht, wird das
bekannt, genau wie bei der Alkoholfahrt. Ich bin aber auch davon
überzeugt, dass Vertuschen nach hinten losgeht. Ich handle lieber als
behandelt zu werden.
Behandelt worden sind Sie vor allem von den Medien. Wie ist Ihr Verhältnis zur Presse heute?
Als
Kirche können wir die Medien nutzen, das hätte Luther auch getan. Ich
fürchte, er hätte sogar getwittert. Ich selbst finde diese Verkürzung
schwierig. Die Menschen sollten lieber erstmal richtig nachdenken, bevor
sie ihre Sätze in die Welt werfen. Insgesamt ist mein Verhältnis zur
Presse positiv und versöhnt. Ich habe die Medien genutzt, habe
Fernsehgottesdienste mitgemacht, schreibe selbst eine Kolumne in der
Bild am Sonntag (BamS). Deshalb muss ich es auch aushalten, wenn ich
über sie Kritik erfahre. Die Grenze ist da, wo Medien hetzen. Ich bin
kein Fan von Jörg Kachelmann. Aber er wurde schon verurteilt, bevor es
einen Richterspruch gab. Das finde ich schrecklich. Oder wenn
Journalisten Prominente beschatten... […]
Was das öffentliche Anecken betrifft, gibt es in der Kirche derzeit niemanden, der Ihren Platz einnehmen könnte.
Ich
wollte eigentlich nie provozieren. Ich war nur manchmal etwas
spontaner als der Pressesprecher es sich gewünscht hat. Die Kirche wird
ohne mich gut klarkommen. In der Flüchtlingsfrage hat sich etwa der
Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sehr klar geäussert.
Sie
sind strikte Pazifistin. Das hat Ihnen viel Kritik eingebracht. Der
FDP-Politiker und Pfarrerskollege Pascal Kober sagt, man lerne schon im
Grundkurs Theologie, dass die Welt durch Gott erlöst werde und nicht
dadurch, dass es keine Waffen mehr gebe.
Ich
finde es immer anmassend, wenn jemand sagt, er habe die richtige
Theologie und jemand anderes die falsche. «Du sollst deine Feinde
lieben» ist der schwierigste Satz von allen Aussagen Jesu. Ich kann auch
nicht so leicht auf meine Feinde zugehen und würde nicht behaupten,
dass ich zum Beispiel Herrn Kober liebe oder Donald Trump. Es ist
schwer, friedlich und gewaltfrei zu antworten, aber sehr einfach, zu
sagen: Waffen wird es immer geben, wir gehen nach Mali oder in den Irak
und schaffen mit Gewalt Frieden. Ich sehe nicht, dass diese Strategie in
den letzten 50 Jahren erfolgreich gewesen wäre. […]
Sie
haben in Ihrer Kirche viele Schlachten geschlagen und sind dafür scharf
kritisiert worden: Pazifismus war nur ein Thema, viele hielten Ihre
liberale Theologie für falsch oder Ihren Feminismus, Ihre Äusserungen zu
Verhütung und der «Pille danach». Welcher Kampf war Ihnen rückblickend
der wichtigste?
Ich habe diese
Dinge nicht so sehr als Kampf empfunden. Ich habe mir die Themen auch
nicht ausgesucht. Ich finde es wichtig, dass wir unsere Art zu glauben
nicht als die einzig mögliche ansehen. Die eine richtige Theologie oder
die richtige Form, Kirche zu sein, gibt es nicht. In Äthiopien, zum
Beispiel, leben Christen ihren Glauben ganz anders. Warum lassen wir uns
davon nicht anregen? Ich glaube, dass es den Kirchen hierzulande gut
tut, dass sie nun von vielen Menschen aus anderen Kulturen besucht
werden.
Die christliche
Vielfalt, die Sie da loben, kann auch Probleme mit sich bringen. Die
Russisch-Orthodoxe Kirche etwa hat Ihnen nach Ihrer Wahl zur
Ratsvorsitzenden die Anerkennung verweigert.
Ja,
aber eine Irritation des Eigenen ist doch immer hilfreich. Ich habe
meine Meinung zu Themen durchaus auch geändert. Ich bin heute nicht mehr
die Margot Kässmann aus den Achtzigern. Die Welt verändert sich und wir
uns auch. Die Kirche darf niemals starr werden. In der Kirchengeschichte
war es immer so, dass es Aufbruchsbewegungen von unten gab, wenn die
Kirche zu eng wurde – dazu zähle ich die Franziskaner genauso wie den
Pietismus und die Friedensbewegung. So bleibt die Kirche lebendig. Sie
haben mich nach dem wichtigsten Kampf gefragt: Der für Veränderung ist
es vielleicht. Und dabei wünsche ich mir, dass wir fröhlich unser
Christsein bekennen. Das ist für mich eine tragende Lebenskraft.
Sie
haben im Laufe Ihres Lebens immer wieder mit Evangelikalen zu tun
gehabt. Ihre Familie gehörte der Selbstständigen
Evangelisch-Lutherischen Kirche an. Sie haben in Tübingen und Marburg
studiert und in den USA. Wie ist Ihr Verhältnis zu den Frommen?
Ich
habe ein gutes Verhältnis zu Freikirchen, solange sie nicht
moralistisch daherkommen. Ich habe ein Problem damit, dass einige von
ihnen die Frauenordination ablehnen. Als ich Bischöfin in Hannover
wurde, hielten einige eine sogenannte Notsynode ab, weil sie den
Bischofsstuhl als nicht besetzt ansahen. Auch, dass die Sexualmoral in
manchen Freikirchen so hoch bewertet wird, stört mich. Zu den Themen
Homosexualität und Abtreibung bekomme ich von Evangelikalen die meisten
Briefe. Dabei sind wir Menschen doch sündig in so vielen Formen. Wir
übertreten so viele Gebote. Aber alles, was mit Sexualität
zusammenhängt, wird da besonders wichtig genommen. Als ich geschieden
wurde, gab es im Magazin ideaSpektrum drei Monate lang Leserbriefe zu
dem Thema. Dabei haben mein damaliger Mann und ich nie Details dazu
bekanntgegeben.
Sie mögen das
Moralisieren nicht, aber man sagt Ihnen einen besonders guten Draht zu
Ihrem ehemaligen Ratskollegen Peter Hahne nach, der ja nun nicht gerade
dafür bekannt ist, sich in dem Bereich zurückzuhalten.
Ja,
das ist lustig, nicht wahr? Niemand hat verstanden, warum ausgerechnet
wir so gut miteinander konnten. Bischof Huber musste uns während der
Ratssitzungen öfter ermahnen, dass wir nicht so viel tuscheln. Diese
Verbundenheit kam daher, dass Peter Hahne und ich unsere Verschiedenheit
mit Humor genommen haben. Er sagte zu mir: Margot, du mit deinen
Hirtinnen verdirbst mir die ganze Weihnachtsgeschichte. Und ich
antwortete: Tja Peter, das musst du wohl lernen, es gab Hirtinnen. Wir
hätten uns wegen unserer unterschiedlichen Ansichten nie das Christsein
abgesprochen. […]
Hier können Sie das vollständige Interview lesen.
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Datum: 05.06.2018
Autor: Anna Lutz
Quelle: Christliches Medienmagazin pro | www.pro-medienmagazin.de