Wie man Riesen bekämpft

Heiko Herrlich: «Kämpfen kann man lernen»

Der Bundesliga-Trainer Heiko Herrlich lernte zu kämpfen, als er an einem Gehirntumor erkrankte. Ihm wurde bewusst, wie schnell ein Leben zu Ende sein kann. Mit seiner Krankheitsgeschichte möchte er andere ermutigen und zeigen, wie man mit seinem Riesen im Leben fertig wird.
Heiko Herrlich (Bild: Facebook)

Ich bin im Süden Deutschlands, in der Nähe von Freiburg, aufgewachsen. Als junger Bub war ich schon sehr früh sportbegeistert und liebte es, mich auszupowern und in Bewegung zu bleiben. Am liebsten mit Ball. Durch meinen Vater war es erst der Handball, der mich faszinierte und später dann der Fussball, dem ich gerne Tag und Nacht hinterherjagte.

Schule fand ich nicht so cool wie Sport machen. Deswegen hatte ich auch mal fünf Fünfen im Zeugnis: in Mathe, Physik, Englisch, Deutsch und Französisch. Darauf bin ich natürlich nicht stolz, aber ich glaube, dass jedes Kind eben seine eigenen Stärken vom lieben Gott bekommen hat, die man fördern sollte, anstatt ständig auf das zu schauen, was es nicht so gut kann. Wegen der vielen Fünfen bin ich in der 8. Klasse leider sitzen geblieben. Dadurch bin ich vom Gymnasium in die Realschule gekommen, wo ich aber einen guten Abschluss machen konnte.

Schulzeit

Aber meine Eltern haben da zum Glück nie Druck ausgeübt, weil sie mich so liebten, wie ich bin. Dafür bin ich ihnen bis heute wirklich dankbar. Sie haben eben gemerkt: Der Junge hat andere Dinge im Kopf und wird einen anderen Weg gehen. Es gibt viele Beispiele von Leuten, die erst auf dem zweiten Bildungsweg vorangekommen sind. Für mich war das trotzdem eine schöne Schulzeit, weil ich wirklich tolle Lehrer hatte, die ich gemocht habe. Und die haben mich, glaube ich, auch gemocht. Bis auf ein paar wenige.

An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich jetzt nicht der bravste Junge war und ab und an gab es auch Ärger, weil Klein-Heiko sich immer wieder mal Streiche ausdachte und Unsinn im Kopf hatte.

Vater: Ständiger Begleiter und Antreiber

Mein Vater war Handballspieler und hat mich immer zum Handball mitgenommen. Ich habe das total genossen, Samstagabend und Sonntag den ganzen Tag in der Halle rumzuhängen, wenn er gespielt hat. Ich hab dann in den Schulpausen immer gekickt oder Handball gespielt. Bis ich 16 Jahre alt war, habe ich beides parallel gemacht: Handball und Fussball. Und es war wunderschön, dass mein Vater bei meinen Spielen auch immer dabei war.

Er war eigentlich mein ständiger Begleiter und auch mein Antreiber. Das muss ich schon sagen: Wenn mein Vater nicht gewesen wäre, gerade in der Pubertät, dann hätte ich wahrscheinlich nicht die Disziplin gehabt, das alleine durchzustehen. Heutzutage ist es sogar noch extremer, was den Jungs abverlangt wird, aber zu meiner Zeit war es eben auch schon herausfordernd. Mein Vater hat mich immer wieder auf die richtige Spur gebracht, mein Talent erkannt, und mich dann auch immer wieder gefördert, wo er nur konnte. Gerade auch, weil ich in der Pubertät hier und da mal die Lust am Fussball verloren hatte, bin ich ihm bis heute sehr dankbar, dass er mir damals dabei half, dranzubleiben. Ich glaube, es gab viele Jungs um mich herum, die genauso talentiert waren, oder sogar noch viel mehr Talent hatten, die es im Leben aber nicht geschafft haben, weil ihre Eltern nicht so engagiert waren. Da habe ich meinem Vater unendlich viel zu verdanken. Ohne ihn hätte ich das nicht geschafft.

Harley Davidson-Abenteuer

Vor einigen Jahren habe ich den Motorradführerschein gemacht. Mein Vater hatte natürlich etwas Angst und meinte: «Mensch, Heiko, wenn dir etwas passiert!» Aber dann hat mein Vater einfach auch den Motorradführerschein gemacht, und ich habe ihm gesagt: «Papa, wenn du Zeit mit mir verbringen willst, was du ja immer möchtest, dann hast du jetzt die Möglichkeit. Dann fahren wir beide einfach mal los Richtung Italien!» Dann sind wir wirklich beide als Anfänger mit zwei Harley Davidsons drei Wochen runter bis nach Sizilien gefahren und zurück. Das war quasi die allererste Fahrt meines Vaters nach seiner Führerscheinprüfung, direkt mal nach Italien.

Und das war es auch: ein echtes Vater-Sohn-Abenteuer, weil wir nie wussten, wo wir am Ende des Tages landen würden. Wir haben immer erst abends geguckt, wo wir eine Unterkunft finden. Wie die «Easy Rider» haben wir uns gefühlt mit unseren Harleys unterm Hintern und dem Wind in den Haaren. Ich bin Gott dankbar, dass ich mit meinem Vater das alles erleben durfte in dieser atemberaubenden Natur, die er geschaffen hat.

Plötzliche Kehrtwende

Mit 17 Jahren bin ich als junger Fussball-Profi nach Leverkusen gekommen und dann relativ schnell erwachsen geworden, weil ich es einfach musste. Und wenn man dann mit Borussia Dortmund die Champions League gewinnt und deutscher Nationalspieler wird, dann rechnet man nicht unbedingt mit dem, was mir dann passiert ist. Ich hatte im Sommer 2000 plötzlich stechende Kopfschmerzen. Dazu noch von einem Tag auf den anderen Probleme mit den Augen, sodass ich oft dachte: «Irgendwas stimmt doch da nicht mit meinem Sehnerv.»

Im Herbst 2000, da war ich 29 Jahre alt, hat mir eine gemeine Krankheit meine Unbekümmertheit genommen: Ein bösartiger Gehirntumor, ein Germinom im Mittelhirn, wurde bei mir diagnostiziert. Seit dieser Zeit weiss ich: Das Leben kann schon mal ganz schnell zu Ende sein. Bis dahin hatte ich gedacht: «Das Leben endet nie. Dir kann niemand was anhaben!» Denn ohne Grund beschäftigt man sich ja nicht so intensiv damit, dass man vielleicht bald tot ist, dass man sterben muss und dass das wehtun könnte. Das verdrängt man ja normalerweise. Aber wenn es einen dann selbst trifft, dann ist die Unbekümmertheit plötzlich weg. Ich musste lernen, wie man mit der Unsicherheit gut umgeht. Ich verliess mich auf mein Gottvertrauen, anstatt mich selbst zu bemitleiden.

Positive Auswirkungen

Aber diese Zeit hatte auch positive Auswirkungen, weil ich seitdem viele Dinge mehr wertschätze bzw. andere Dinge, über die ich mir vorher Sorgen gemacht habe, nicht mehr als Problem sehe. Wir sorgen uns in Deutschland eh alle viel zu viel. Das ist doch völliger Quatsch. Ich bin gesund, ich lebe im Moment, mir geht’s gut und ich gebe mein Bestes, um dieses Zufriedensein, das ich auch in der Beziehung zu Gott finde, nicht durch Ablenkungen zu verlieren.

Ich habe in dieser schweren Zeit der Erkrankung sehr geschätzt, wie wichtig echte Freundschaften sind. Es erfüllt einen tatsächlich, wenn man intensive Gespräche mit Freunden führen und über alles reden kann, was einen tief drinnen ausmacht: über Sehnsüchte, über Gott, über Träume. Es gibt nichts Schöneres, als zusammen zu lachen. Ich liebe aber auch die Ruhe und bin sehr gerne alleine. Da tanke ich auf. Da komme
ich zu mir. Da finde ich immer wieder zu Gott, und spreche offen mit ihm über alles, was mich bewegt. Ruhe ist sehr heilsam für den, der sie entdeckt hat, weil wir ja alle gar keine echte Ruhe mehr kennen.

Etappenziele vornehmen

Im Jahr 2000 musste ich also lernen, wie man kämpft. Wie man um sein Leben kämpft. Die Strahlentherapie war sicher kein Zuckerschlecken. Die Haare fallen einem aus und man könnte manchmal von einem Moment auf den anderen weinen, weil einem so schlecht ist durch das Zeugs, mit dem sie einen behandeln.

Kämpfen lernt man am besten, wenn man an etwas glaubt und wenn man sich kleine Ziele setzt. Es ist wichtig, dass es kleine Ziele sind, denn wenn man das nicht macht, sieht man die Krankheit wie einen riesigen Berg, der einen so sehr einschüchtert mit seiner Grösse und Gewalt, dass man denkt, dass man da nie hoch klettern kann. Aber wenn du dir Etappenziele vornimmst und fragst: «Was ist mein kleines Ziel für diesen Tag heute?», und dann später: «Was ist mein Ziel für diese Woche?», dann schaust du nicht auf den riesigen Berg, sondern freust dich am Ende des Tages, dass du die kleinen Ziele erreicht hast.

Tiefes Gottvertrauen

Ich danke Gott heute, dass er immer an meiner Seite war während der Phase der Krankheit, als alles ungewiss war und mir niemand sagen konnte, ob ich daran sterben würde oder nicht. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die einen belächeln, wenn man sagt, dass man an Gott glaubt. Ich habe kürzlich im Rückblick auf die letzten zwei bis drei Jahre festgestellt, dass es mir gerade dann in allen Bereichen meines Lebens gut ging, wenn ich nah an Gott dran war, auch wenn die Leute noch so darüber gelacht haben. Wir müssen darauf achten, dass wir das Vertrauen auf Gott nicht verlieren und ihm auch wirklich Dinge zutrauen. Im Moment habe ich so ein tiefes Gottvertrauen. Manchmal frage ich mich, wie ich das hier alles leisten kann als Bundesliga-Trainer und es hinbekomme, jedem gerecht zu werden.

Ich bin trotzdem dankbar für diese schwere Zeit damals, weil ich dadurch im Glauben gewachsen bin. Auch wenn man niemandem wünscht, das zu erleben, was ich damals durchmachen musste, es hat mich trotzdem als Person geprägt. Und gerade in Krisenzeiten unterschiedlichster Art kann man sehr dankbar sein, wenn man gesund ist und sich die richtige Haltung bewahrt, mit den Herausforderungen gut umzugehen. Ich spreche auch deswegen so offen über meine Krankheitsgeschichte, weil es mir wichtig ist, anderen Mut zu machen, und ihnen Tipps zu geben, wie man mit seinen Riesen im Leben fertig wird.

Zur Person

Heiko Herrlich ist Trainer des FC Augsburg und war als Fussballprofi nicht nur deutscher Nationalspieler, sondern auch Champions League Sieger mit Borussia Dortmund. Heiko lebt mit seiner Familie im schönen und tiefsten Bayern, umgeben von Kühen, Hasen und Hühnern.

Zum Buch:
«Wie man Riesen bekämpft»
beim Fontis-Shop bestellen oder als E-Book zum Download verfügbar auf der Webseite www.wiemanriesenbekaempft.de

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Datum: 09.03.2021
Autor: Heiko Herrlich
Quelle: Buch «Wie man Riesen bekämpft»

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