Wie man Menschen mit Essstörungen helfen kann
«Einen grossen Teil meines Lebens habe ich versteckt, was ich durchgemacht habe», gewährt Hope Virgo einen Einblick in ihre schweren Jahre. «Im Alter von 13 Jahren, nach acht Monaten sexuellen Missbrauchs, musste ich einen Weg finden, damit umzugehen. Das äusserte sich in Form von Nahrungsbeschränkung und zwanghaftem Sport.»
Mit 17 wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, wo ihr Weg der Genesung begann. Sie musste wieder lernen, wie man in Restaurants isst, wie man Kleidung einkauft und wie man sich ernährt.
Wut auf Gott
«Die Wut auf Gott wegen der Essstörung war riesig, ich trug sie lange Zeit mit mir herum. Mit 17 Jahren trat ich aus der Kirche aus und ich schwor mir, nie wieder zurückzukehren.»
Etwas schockiert stellte sie elf Jahre später fest, dass sie trotzdem wieder in eine Kirche ging, um einen Alphakurs zu besuchen.
Dieser half ihr, die Verletzungen, den Schmerz und die vielen Fragen zu verarbeiten. «Ich beschloss, zum Glauben zurückzukehren. Das war die beste Entscheidung überhaupt! Es war kein leichter Weg und es gab einige Herausforderungen, aber er hat mich auch an den Tagen aufrecht erhalten, an denen ich das Gefühl hatte, das Leben sei nicht zu meistern.»
Eine stigmatisierte Krankheit
«Essstörungen sind immer noch äusserst stigmatisierte Krankheiten», erklärt Hope Virgo. «Sie werden oft als Wahl eines Lebensstils angesehen, während Essstörungen in Wirklichkeit sehr ernst zu nehmende psychische Krankheiten sind.»
Dieses Stigma lasse viele im Stillen leiden. «Betroffene haben Scham, Angst und Schuldgefühle.» Gerade christliche Gemeinden hätten die Möglichkeiten, einen sicheren Raum für diejenigen zu schaffen, die von Essstörungen betroffen sind.
Fünf Tipps von Hope, um Betroffene zu unterstützen
Tipp 1
Klären Sie Ihre Gemeinde und Ihre Kleingruppenleiter
auf. Führen Sie Veranstaltungen für Jugendliche, Erwachsene und Betreuende
durch. Oft sprechen wir über andere psychische Probleme, doch vielerorts scheut
man sich, über Essstörungen zu sprechen.
Tipp 2
Seien Sie sich in Ihren Kleingruppen bewusst, wer dort
ist und das Essen für manche schwieriger zu handhaben ist. Wenn Sie wissen,
dass jemand in Ihrer Gruppe an einer Essstörung leidet, nehmen Sie sich Zeit,
um herauszufinden, was für diese Person in Bezug auf das Essen in diesem Raum
funktionieren würde. Das kann bedeuten, dass Sie ihr oder ihm die Möglichkeit geben,
selbst zu kochen, oder dass Sie die Menüs ein paar Tage vorher mit der Person absprechen
und sich bewusst sind, dass manche Menschen Probleme mit den Portionen haben,
wenn sie sich selbst bedienen müssen.
Tipp 3
Hören Sie auf, den Menschen zu sagen, dass sie ihren
Körper lieben sollen, dass sie mehr um Heilung beten sollen oder dass sie mehr
Glauben brauchen, um geheilt zu werden.
Tipp 4
Sprechen Sie das Thema offen an und fragen Sie die
Person, wie Sie sie unterstützen können. Das kann auf emotionaler Ebene sein,
aber auch durch Zuhören, Ablenkung bei den Mahlzeiten, Nachfragen zu bestimmten
Zeitpunkten im Jahr oder durch das praktische Angebot, jemanden zum Einkaufen
zu begleiten oder mit der betroffenen Person zu kochen.
Tipp 5
Denken Sie daran, dass es bei einer Essstörung nicht
um Essen, Sport oder das Körperbild geht – sondern darum, dass etwas in der
Person vorsichgeht. Nehmen Sie sich Zeit, um das zu verstehen, indem man der
Person zuhört und ihr hilft, sich mitzuteilen.
Geschichte verändern
«Es ist schwer, über Essstörungen zu sprechen, es kann sich beängstigend und besorgniserregend anfühlen», erklärt Hope Virgo. «Aber wenn wir diese Gespräche nicht führen, werden die Menschen Schwierigkeiten haben, Heilung zu erleben. Die Menschen werden im Stillen leiden.»
Deshalb rät sie, dass sich christliche Gemeinden dafür einzusetzen, «die Geschichte der Essstörungen zu verändern».
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Datum: 24.05.2022
Autor: Daniel Gerber / Hope Virgo
Quelle: Livenet / Inspire Magazin