Wenn Zähne ziehen Kreise zieht
Im Jahr 1986 reisten Roland und Anna-Marie Eisenring in ihren Ferien mit einer portablen Zahnarztpraxis nach Brasilien, wo sie in Slums begannen, Zähne zu behandeln. Diese Art, ihre Ferien zu verbringen, wurde für das Ehepaar zum Normalfall. In den Jahren darauf ging es nach Peru, Kasachstan und Indien; sie behandelten Zigeuner in Rumänien, reisten nach Sibirien und insgesamt achtmal in die Mongolei – alles finanziert aus eigener Tasche. In der Mongolei unterrichteten sie an der Universität von Ulan Bator und führten die Zahnprophylaxe ein, die bis dahin im Land unbekannt war. Sie nahmen Studenten mit – unter anderem in Gefängnisse –, die heute die Arbeit weiterführen. «Wir haben uns immer von Gott führen lassen, und er hat uns ungeahnte Türen aufgemacht», erklärt Anna-Marie Eisenring im Gespräch mit Livenet.
Afrika
2006 begannen sie, nach Afrika zu reisen. Durch den Koordinator von Mercy Air, Matthias Reuter (ebenfalls aus der Region Thun), wurden Einsätze in Mosambik möglich. Später kam Kenia dazu.
Kenia hat sich seitdem als besonderes Schwerpunkt-Land für ihre Arbeit herausgebildet. Kenia ist 14-mal grösser als die Schweiz und zählt 46 Millionen Einwohner. Mehr als die Hälfte der 4,5 Millionen Einwohner der Hauptstadt Nairobi leben in Slums. Die Sendung «Fenster zum Sonntag» vom 5./6. Mai berichtete über die Hilfswerke, die sich aus den Einsätzen von Roland und Anna-Marie Eisenring in dem ostafrikanischen Land entwickelt haben.
Im Slum Kawangware in Nairobi unterstützen sie eine Schule, die mit ihrer Hilfe für Voll- und Halbwaisen gegründet wurde. Vom Kindergarten bis zur High School werden dort alle Stufen unterrichtet – insgesamt rund 1'000 Kinder, die inmitten grosser Armut ihr eigenes Potential entdecken, wertgeschätzt und ausgebildet werden. Eisenrings Zusammenarbeit mit kenianischen Persönlichkeiten vor Ort entstand aus Hygiene-Grundkursen, welche Anna-Marie vor zehn Jahren in den Slums begann.
Visionen vor Ort unterstützen
«Es ist enorm wichtig, vertrauenswürdige Leute vor Ort zu haben; sie kennen die Situation und haben die Vision. Wir unterstützen sie, aber es muss ihr Projekt sein», erklärt Roland Eisenring die Arbeitsweise. Sie hatten vor sechs Jahren mit Geld aus eigener Tasche den Kredit aufgebracht, das Land für die Schule zu kaufen. Das Land kostete umgerechnet 90'000 Franken und die Gebäude 160'000 Franken. «Als wir den Glaubensschritt gemacht hatten, gingen Türen auf, und das Geld kam immer mehr zusammen», blicken sie heute zurück.
«Ich hatte einfach den Ruf»
Anna-Marie Eisenring erklärt, wie sie entscheidet, welche Projekte sie in einer Welt, die vor Not nur so wimmelt, anpackt und unterstützt: «Ich habe wie einen ganz klaren Ruf von Gott bekommen, hier nach Kenia zu gehen; wenn ich die Not sehe, kann ich doch nicht einfach wieder umkehren!» Sie erlebt aber auch: «Manchmal sehe ich etwas und spüre: Das ist nicht mein Auftrag; dann kann ich es in Ruhe auch sein lassen.» Ehemann Roland bestätigt: «Das ist ihre grosse Stärke; sie sieht die Not und erkennt das Potential in einem Menschen, etwas zu verändern. Wir beten zusammen für eine Situation und erkennen dann, ob und wie wir helfen können.»
Im Gefängnis: Zahnbehandlung und mehr
Eisenrings sind weiter unterwegs zu einem Gefängnis im Westen von Kenia, wo bereits viele Dutzende von Gefangenen darauf warten, dass ihre Zähne behandelt werden. Roland Eisenring beschränkt sich auf Schmerzbehandlung, zieht kariöse Backenzähne und näht Wunden. «Das Schöne ist, dass diese Behandlung sofort wirkt. Am nächsten Tag ist der Schmerz weg, und wenn ich ihre lächelnden Gesichter sehe, weiss ich: Das hat sich gelohnt.»
Eisenrings versuchen, die Menschen nicht nur als Nummern zu sehen, sondern «jedem einzelnen Gottes Liebe entgegenzubringen». Gefängnisseelsorger Philemon Rotich besätigt: «Es gibt hier keinen Zahnarzt, der ins Gefängnis kommen würde. Sie wollen nur Geld verdienen. Und so viele hier haben grosse Zahnschmerzen! Da ist der Dienst von Eisenrings so ein grosser Segen.» Vor zehn Jahren wurden Eisenrings offiziell in die Gefängnisse von Kenia eingeladen; seither besuchen sie diese jährlich.
Philemon Rotich ist von Ehepaar Eisenring motiviert worden, selbst handwerklich arbeiten zu lernen. Heute leitet er selbst frühere Gefangene an, einfache Geräte und Gegenstände aus Holz anzufertigen. «Ich kenne schon eine ganze Reihe aus der Stadt, die jetzt mit dem, was sie hier herzustellen lernten, ihre Familie ernähren und ihre Kinder zur Schule schicken können», erklärt Rotich. Auch hier Hilfe zur Selbsthilfe.
In jüngere Hände
Um die wachsende Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, gründeten Roland und Anna-Marie Eisenring vor sechs Jahren den Verein «Network Diaspora». «Einen Verein zu gründen, hatten wir eigentlich nie vor», gibt Roland Eisenring zu, «aber es wurde notwendig, und es hat sich bestätigt.» Heute geben sie immer mehr Verantwortung für die sechs Projekte, die «Network Diaspora» unterstützt, in jüngere Hände, wie Anna-Marie Eisenring erklärt: «Junge Leute wollen Verantwortung übernehmen, und wir sind ja auch nicht ewig da.» Diaspora bedeutet «hineinsäen» – und genau das tun Eisenrings seit über 30 Jahren: mit Folgen, die sie sich bei ihrem ersten Einsatz 1986 in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten.
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Datum: 09.05.2018
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Fenster zum Sonntag