Religionsfreiheit – wird sie überleben?
Am meisten fasziniert waren meine amerikanischen Gäste nicht etwa von den Berner Alpen, dem Bundeshaus oder dem Rheinfall, sondern von einem schlichten alten Haus an der Neustadtstrasse 6 hinter dem Grossmünster in Zürich, zu dem sie mich führten.
Mit wässrigen Augen erklärten sie mir, in diesem Haus seien weltverändernde Dinge geschehen. Vor 500 Jahren habe dieses Haus einer Frau gehört, welche ihre Söhne dazu erzogen habe, lieber zu sterben, als sich zu religiösen Ritualen zwingen zu lassen. Damit habe das Zeitalter der modernen Religionsfreiheit begonnen.
Reformation brachte nicht sofort Freiheit
Berühmt geworden ist aus jener Zeit zwar nicht jene Familie, sondern Huldrich Zwingli, der Zürcher Reformator. Er hatte die Reformation in der Limmatstadt sogar schon einige Jahre vor Deutschland eingeführt. Die Reformation, so könnte man meinen, sei der grosse Schritt Richtung Religionsfreiheit gewesen. Doch in Wirklichkeit entstand nicht wirkliche Freiheit, sondern nur eine Zweiheit, denn in den protestantischen Gebieten wurde man fortan genauso zum Protestantismus gezwungen wie anderswo zum Katholizismus.
Allerdings war das nicht ein spezifisch christliches Verbrechen, wie manche meinen, denn Religionsfreiheit gab es damals weltweit nicht. Schon die alten Römer hatten ja die Christen den Löwen zum Frass vorgeworfen. Auch in den islamischen Hadithen steht seit Anfang unmissverständlich geschrieben: «Wer seine Religion wechselt, den tötet.» Im Namen ihrer Götter führten die alten Supermächte ihre Kriege, und wer anderen Göttern anhing, wurde vernichtet. Etwas anderes konnte man sich nicht vorstellen. Seit Urzeiten werden in Indien Menschen ermordet, weil sie insgeheim über die Kastengrenzen hinaus geheiratet haben.
Religionsfreiheit führte zum Tod
Jesus Christus ist einer der wenigen im Altertum, die Glaubensfreiheit vorlebten. Und wie es nicht anders möglich war, bezahlte er dafür mit seinem Leben. Genau gleich erging es vielen seiner Jünger, welche sich im römischen Reich den lebensgefährlichen Luxus leisteten, den Kaiser nicht anzubeten. Auch später entstanden in Europa immer wieder religiöse Gemeinschaften, welche sich die Freiheit nahmen, einen Glauben zu entwickeln, der der offiziellen Kirche widersprach. Doch alle diese Bewegungen wurden mit Gewalt zur Bedeutungslosigkeit reduziert oder ganz vernichtet.
Die Gruppe, welche sich im Haus von Mama Manz an der Neustadtstrasse 6 bildete, ähnelte in ihren Überzeugungen den Waldensern, Hussiten und andere Vorreformatoren vor ihnen. Sie wagten es, einander gegenseitig zu taufen. Wie der Chronist berichtet, wurden sie dabei von grosser Angst erfüllt. Tatsächlich hatten sie Grund dazu. Wie eine Tafel erzählt, die noch heute an der Limmat zu finden ist, wurde dort Felix Manz am 5. Januar 1527 öffentlich ertränkt, während seine Mutter und sein Bruder ihm zuriefen, standhaft zu bleiben. Die meisten seiner Freunde endeten ähnlich. Aber erst, nachdem sie schon Zehntausende getauft und eine Bewegung gestartet hatten, welche nicht mehr zu bremsen war. Zwar stahl man ihnen Hab und Gut, nahm ihnen die Kinder weg und sperrte sie in Gefängnisse. Doch sie flohen von einem Ort zum anderen. Viele schafften es bis nach Amerika, wo sie eine Freiheit verwirklichten, welche nicht mehr zerstört werden konnte, weil sie gesetzlich verankert wurde.
William Penn war der erste Gouverneur von Pennsylvania, dem einzigen Quäkerstaat, der jemals existierte. In ihm herrschte von Anfang an Religionsfreiheit. Desgleichen im vom Baptisten Roger Williams gegründeten Rhode Island.
Aufklärung wurde von Täuferbewegung beeinflusst
Die Zürcher Täufer sind also nicht deswegen weltverändernd, weil sie die ersten gewesen wären, welche Religionsfreiheit beanspruchten. Speziell an ihnen ist, dass es ihnen gelang, eine Bewegung auszulösen, die bis heute weiterbesteht. Erst Jahrhunderte später schwappten die freiheitlichen Ideen, welche mittlerweile in Nordamerika längst selbstverständlich geworden waren, auf Europa zurück. Zwar meinen viele Europäer noch heute, die Freiheit erfunden zu haben, und sind stolz darauf, «aufgeklärt» zu sein.
Nicht die Täufer waren von der Aufklärung beeinflusst, sondern umgekehrt. Tatsächlich ist die sogenannte Aufklärung nichts anderes als die Verweltlichung biblischer Standards von Gerechtigkeit. Auch wenn die Philosophen des 18. Jhd. sich grösstenteils in unvorstellbarem Stolz erhaben fühlten über alle früheren Zeitalter, welche ihnen als «unaufgeklärt» vorkamen, so scheinen doch überall die christlichen Wurzeln der aufklärerischen Gedanken durch. Manche wie Christian Fürchtegott Gellert und John Locke begründeten ihre ganzen Gedankengebäude offen biblisch, und sogar Voltaire verleugnete nicht, dass er in England entscheidende Impulse erhielt, wo der amerikanische Einfluss bereits spürbar war (siehe «Briefe aus England»). Und Kant wuchs in einem christlichen Elternhaus auf.
Auch wenn er sich später dagegen wandte, ist nicht zu übersehen, dass sein gesamtes Denken von Voraussetzungen ausgeht, die nur im christlichen Rahmen gelten.
Und das gilt für alle «Aufklärer». So ist denn auch nicht verwunderlich, dass die Aufklärung nur im christlich vorgeprägten Westen Erfolg hatte. Denn auch wenn die damaligen Landeskirchen wegen ihrer unseligen Verbindung mit den Königen Europas Religionsfreiheit verweigerten, so wurde diese doch implizit von der von ihnen propagierten Bibel gelehrt.
Trennung von Staat und Kirche schon in der Bibel
Der Kampf zwischen der katholischen Kirche und dem deutschen Kaiser mag ein dunkles Kapitel in der Geschichte Europas gewesen sein, aber sie führte zu einem guten Resultat: dass nämlich die Kirche die politische Oberherrschaft abgeben musste. Erste Schritte Richtung Trennung von Kirche und Staat. Das ist eine einzigartige Entwicklung, welche die Entstehung des modernen Westens erst ermöglicht hat. Und sie stimmt auch mit der Lehre des Messias überein, welche seine Jünger anwies, «dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist».
Die Aufklärung ist leider weit über das Ziel hinausgeschossen. Schlussendlich ist das moderne Europa bei der Schlussfolgerung angekommen, alles sei relativ. Mit der Annahme, dass seine Vernunft die einzig Richtige sei, kam ja jeder Philosoph zu anderen Schlüssen. Doch aufgepasst: Wenn alles relativ ist, dann ist nichts mehr garantiert, auch die Religionsfreiheit nicht. Nicht die Bibel, sondern die Aufklärung trägt letztlich die Verantwortung für die napoleonischen Kriege, zwei Weltkriege und den grössten Völkermord aller Zeiten, der durch die Kommunisten ausgeführt wurde.
Religionsfreiheit gilt auch für Feinde
Auf die Dauer wird die Freiheit nur garantiert bleiben, wenn sie absolut begründet werden kann. Wenn sie nur für diejenigen gilt, welche politisch korrekt sind, werden wir sie verlieren. Wenn sie nur für Linke oder nur für Rechte, oder nur für die Mitte gilt, ist sie verloren. Doch wieso sollte Freiheit für diejenigen gelten, welche falsch liegen? Das scheint nicht logisch. Eine solche Feindesliebe gibt es auf die Dauer nur bei Gott. Und wenn wir von Gott wegkommen, werden wir die Freiheit im Namen der Logik verlieren, denn man wird es sich früher oder später wiederum erlauben, Andersdenkende gewaltsam zum Schweigen zu bringen.
Jede Religion, jede Philosophie und jeder Mensch tendiert dazu, sich selber absolut zu setzen. Darum fehlt es an Toleranz. Alles zu relativieren, ist aber nur eine Scheinlösung, weil wir damit im Chaos versinken. Auch die Bibel lehrt eine absolute Wahrheit. Mit dem Vorbild von Jesus und den Aposteln lehrt sie aber zugleich die Freiheit, daran zu glauben oder nicht. Nur wer an einen allmächtigen Gott glaubt, der letztlich alles wieder in Ordnung bringen wird, kann es sich leisten, den anderen die Freiheit zu lassen, ihre eigenen Ideen auszuprobieren. Nur wer sicher ist, dass alles andere schief gehen wird, kann warten, bis es von selber soweit kommt. Nur wer das Ende der Geschichte kennt, kann der Versuchung widerstehen, sie zu manipulieren.
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