Talk mit Notfallseelsorgern

Hoffnung für hoffnungslose Situationen

Markus Grossenbacher und Urs Dummermuth im Livenet-Talk
Was, wenn ein Unglück plötzlich nicht mehr «weit weg» ist, sondern in mein Leben einbricht? Dann sind Menschen wichtig, die einem zur Seite stehen und helfen, mit dem Schock umzugehen. Flo Wüthrich hat zwei erfahrene Krisen-Helfer im Livenet-Talk.

Sie werden gerufen und müssen «ihren Mann stehen», wenn es ein Unglück gibt, das die Menschen unmittelbar betrifft: Urs Dummermuth, Notfallseelsorger und Einsatzleiter des kantonalen Care-Teams Solothurn, und Markus Grossenbacher, der 19 Jahre lang Regierungsstatthalter im Emmental war.

Wenn das Unglück ganz nahe kommt, ist man froh um Menschen, die einem zur Seite stehen und mit denen man reden kann. Da ist der Notfallseelsorger gefragt. Aber wie lernt man, in eine Situation hineinzugehen, die man noch nicht erlebt hat? Urs Dummermuth: «Da gibt es keine Routine, jede Situation ist neu – man weiss nicht, was und wen man antrifft.» Meistens sei auch ein Todesfall involviert. Er musste in seinem persönlichen Leben und dann als Pastor öfters schwierige Situationen bewältigen und erfuhr: Er kann damit umgehen. Er merkte: «Vielleicht ist das eine Berufung, die Gott in mein Leben gelegt hat.»

Auch Markus Grossenbacher musste als Regierungsstatthalter mit Extremsituationen umgehen, allen voran das grosse Hochwasser 2007 im Raum Huttwil, wo eine Stunde Gewitter Dutzende Häuser zerstörte, 40 Millionen Franken Schaden anrichtete und drei Menschenleben forderte. «Da gibt es kein Drehbuch; man muss einfach rein.» Beide Gesprächspartner beten vor den Einsätzen, und beide erleben immer wieder eine grosse Ruhe, mit der sie dann den aufgewühlten Menschen begegnen können.

Wenn die Feuerwehrleute weinen

Urs Dummermuth: «Grosse Antworten hat man nicht. Die Menschen reagieren ja unterschiedlich: Die einen sind geschockt, wie gelähmt, andere schreien, es gibt viele Emotionen.» Für ihn heisst es in dieser ersten Phase: da sein, mit aushalten, keine Worte finden. «Einfach da sein. Emotionen haben jetzt Platz.»

Wenn es Tote gibt, wühlt das auf. Markus Grossenbacher erinnert sich: «Ich vergesse nie mehr, wie Feuerwehrleute geweint haben, mitten in der Nacht. Der Einsatzleiter sitzt am Boden und weint. Zum Glück waren Rettungssanitäter da, die eine Tote bergen konnten. Eriswil sah unvorstellbar aus.» Einen Betroffenen, der seine Eltern verloren hatte, musste er erst einmal fünf Minuten im Arm halten. Dann konnte weitergearbeitet werden.

Den Schuldigen suchen

Wir sind von vielen Notmeldungen abgestumpft, die ja zum Glück meistens «weit weg» sind. Urs Dummermuth: «Wenn es uns selbst trifft, halten wir das Unerträgliche nicht aus, wir begehren sofort auf und sind schnell dran, den Schuldigen zu suchen, statt das Leiden einfach mal auszuhalten. Sei es ein Unfall oder ein Brand: Wir suchen sofort den Schuldigen. Wir meinen, dass der Schuldige in der Verarbeitung hilft. Aber das stimmt nicht.» Den Tod könne man nicht auslagern, sondern müsse ihn an sich «ranlassen», nach dem Wort der Bibel: «Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.» 

In diesem Jahr hatte der Notfallseelsorger so viele Einsätze wie noch nie in den Jahren zuvor, darunter auch Suizide von Jugendlichen. Dahinter stecke viel Tragik in Familien. «Viele haben überhaupt nicht gelernt, mit Schwerem umzugehen», stellt er fest. «Da kommt etwas auf uns zu, das mir Bauchweh macht.»

Hoffnung

Trotz – oder vielleicht gerade wegen dem: Sie erleben und wünschen es den Menschen, dass der Glaube in solchen Situationen trägt. Urs Dummermuth: «Gott hat uns nicht versprochen, dass er uns vor dem Unheil bewahrt, aber dass er im Schlimmsten bei uns ist.» Und Markus Grossenbacher zitiert Jesus: «In der Welt habt ihr Angst, aber habt Mut, ich habe die Welt überwunden.» Beide bestätigen: «Das hat mir immer wieder Mut und Mumm gegeben.» Und sie erleben, was Urs Dummermuth so ausdrückt: «Am Anfang ist Elend, Zerbrochenheit, aber dann können die Leute irgendwann wieder aufatmen, sogar lachen. Dann ist etwas von der Hoffnung angekommen. Und dann ist es befriedigend, so heimzugehen.»

Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Urs Dummermuth und Markus Grossenbacher an:
 

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Datum: 29.03.2023
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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