«Papa, warum werfen die Leute Steine nach uns?»
Knapp verfehlt der Stein Simons (Name geändert) Gesicht. Erschrocken hält er die Hand seines Vaters fest, während ein weiterer Stein in ihre Richtung fliegt. Gerade noch rechtzeitig können sich die beiden sich ducken. Papa eilt mit dem fünfjährigen Jungen nach Hause, aus dem Eisessen wird nichts.
«Papa, warum werfen die Leute Steine nach uns? Warum mögen die Leute uns nicht, was haben wir falsch gemacht?» Der Vater erklärt dem Buben, dass dies so ist, weil die Familie Jesus Christus nachfolgt. «Die Menschen in unserer Stadt haben eine andere Religion, sie akzeptieren nicht, dass Menschen anders sind.» Simons Mutter Fadila verspricht ihm, dass er an einem anderen Tag sein Eis bekommen wird. «Und jetzt beten wir für diese Menschen.» Von seinen Eltern lernt Simon, Zuflucht bei Gott zu finden – und er bittet um Vergebung für die Steinewerfer.
Fünf Jahre «Krieg am Samstag»
Diesen Gegenwind erlebt auch Aliya. «Ich bin in einer Familie mit einer muslimischen Mutter und einem atheistischen Vater aufgewachsen, der nicht viel zu Hause war», erinnert sich Aliya. Sie war stark vom Islam beeinflusst, betete und fastete. «Als ich älter wurde, wurde ich anderen Ideen ausgesetzt und begann, den Islam in Frage zu stellen.» Ihr Vater sagte, sie solle die Religion ablehnen. «In unserer Gesellschaft sprechen wir viel über Gott, aber man kann ihn nicht finden.»
Dann wurde Aliyas bislang muslimische Tante Christ. «Ich sah, wie sie sich veränderte und Antworten auf ihre Fragen fand.» Aliya besuchte die Kirche ihrer Tante und aus Neugier kam sogar ihr Vater mit. Dieser kam zwar nicht wieder, Aliya aber blieb. Ihrer Mutter sagte sie zunächst nichts, «mein Vater wusste es, er hatte aber nicht so viele Probleme mit Christen wie mit Muslimen. Als meine Mutter es dann herausfand, war sie wütend. Von da an herrschte jeden Samstag ein Krieg.» Nach fünf Jahren ging sie nicht mehr in die Gemeinde, weil sie des Kämpfens überdrüssig geworden war. Ihren Schmerz versuchte sie mit schlechten Angewohnheiten zu lindern.
«Eines Tages kam meine Tante und redete wieder mit mir über Jesus. Ich kehrte trotz meiner wütenden Mutter in die Gemeinde zurück. Ich entdeckte wieder, warum ich mich überhaupt zu Jesus hingezogen fühlte, und diesmal konnte mich nichts aufhalten. Meine Familie ist immer noch nicht gläubig, aber sie sieht, wie die Rückkehr zur Kirche mein Leben veränderte, also lassen sie es zu und widersetzen sich mir nicht mehr.»
«Papa, gib deinen Glauben auf und komm zurück»
Während Aliya auch als Christin weiterhin daheim wohnen konnte, werden andere Konvertiten aus der Familie verjagt. So wie Ibrahim. Verzweifelt bitten ihn seine beiden Kinder, «zur Vernunft zu kommen», nachdem Vater offenbart hat, dass er Christ geworden ist. «Papa, Papa, bitte gib deinen christlichen Glauben auf und kehre zum Islam zurück, damit du für immer unser Vater sein kannst», fleht ihn seine siebenjährige Tochter an.
Er hatte früher wachsende Zweifel am Islam gehabt und als er von Jesus Christus hörte, wechselte er zum christlichen Glauben. Diesen Wechsel hielt er vorerst geheim, da die Clans den Konvertiten zur Scheidung zwingen und die Kinder wegnehmen können. Nach einiger Zeit offenbarte er sich zunächst seinem Vater. «Er starrte mich schweigend etwa 15 Minuten lang an. Dann stand er von seinem Stuhl auf und versammelte alle meine Brüder und Schwestern. Sie kamen ins Haus und meine Brüder fingen an, mich zu schlagen.» Sie forderten seine Abkehr vom Christentum. Seine Kinder erlebten alles mit. Ibrahim musste fliehen. Nach drei Monaten geschah ein Wunder: Er durfte seine Frau und seine Kinder zu sich holen. Seine Frau ist noch Muslimin, «doch für sie ist es das Wichtigste, dass wir wieder als Familie zusammen sind».
Sagenumwobenes Lizenzpapier
Immer wieder erleben Menschen in Algerien, wie Gott übernatürlich durch Träume und Visionen zu ihnen spricht. Gleichzeitig erleben sie Widerstand in ihrer Umgebung. Immer wieder werden Gemeinden – zumindest vorübergehend – geschlossen. Oft wird beispielsweise die «Gebäudesicherheit» vorgeschoben.
Im Jahr 2006 wurde die Verordnung 03-06 eingeführt, die nicht-muslimische Gottesdienste regelt. Verheissen wurde damals, dass dadurch beispielsweise christliche Gottesdienste an bestimmten Orten gestattet und geschützt würden.
Wiederholt haben in diesen bald 15 Jahren christliche Gemeinden nach den versprochenen Dokumenten gefragt, doch diese sagenumwobenen Registrierungspapiere sind bei keiner Führungsebene erhältlich. Im Gegenteil: Keine einzige Lizenz wurde bislang ausgestellt. Sämtliche Anfragen von Kirchen wurden komplett ignoriert. Stattdessen sind in den letzten Jahren nun wieder rund ein Dutzend EPA-Kirchen von der Regierung versiegelt worden.
Kürzlich verabschiedeten die EU-Abgeordneten eine Resolution, in der sie die algerischen Behörden auffordern, geschlossene und versiegelte Kirchen wieder zu öffnen. Für viele Christen in Algerien gilt, dass die Regierung Gebäude schliessen kann … nicht aber Herzen.
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Datum: 10.10.2020
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Open Doors / Livenet