«Früher ist das nie passiert»

Venezuelas Krise füllt die Kirchen des Landes

Während kein Ende der Krise Venezuelas in Sicht ist, suchen die Menschen des Landes Trost und Hilfe in der katholischen und evangelischen Kirche, aber auch bei Mormonen, Zeugen Jehovas und Schamanen. Eine Entwicklung, die viele Leiter erstaunt.
Menschen beten in Venezuela

Die Situation in Venezuela ist gleichbleibend: Stromausfälle, Wasserknappheit, überteuerte Lebensmittel, Hunger, politische Unsicherheit. Immer wieder hört man auch, dass Menschen sterben, weil sie etwa nicht das Geld für eine angemessene medizinische Versorgung haben. Der Strom der Migranten ist etwas abgeebbt, nachdem sich herumgesprochen hat, dass auch viele der anderen südamerikanischen Länder in Wirtschaftskrisen stecken und ein Neuanfang nirgends wirklich einfach ist. Doch die im Land verbliebenen Venezolaner suchen Kraft und Trost für den schwierigen Alltag nun an anderer Stelle: in den Kirchen.

Messen überfüllt

«Eins der am wenigsten religiösen Länder Lateinamerikas wendet sich zum Glauben», schreibt Arelis Hernández in der Washington Post. Ein langer Bericht dokumentiert, dass sich immer mehr Venezolaner in ihrer Verzweiflung dem Glauben zuwenden. «Alle meine Messen sind überfüllt, was früher nie passiert ist», wird etwa der katholische Priester Jesús Godoy zitiert. Über 2'000 Menschen besuchen jedes Wochenende seine Gottesdienste. «Sie flehen um Hilfe. Sie möchten, dass Gott ihnen das Nötige gibt, um in der Krise zu leben», so Godoy.

Die Kirche hilft allerdings nicht nur auf geistlicher Ebene. Godoy sieht sich als Bindeglied zwischen den Menschen auf der Strasse und Jobs, Wohnungen, Sozialarbeitern und Psychologen.

Politische Situation in Predigten thematisiert

Ähnlich ist auch die Situation der evangelischen Kirchen. Etwa die Pfingstgemeinde von Pastor Carlos Vielma in Caracas, deren Mitgliederzahl in den vergangenen 18 Monaten explodiert sei, wie es in der Washington Post heisst. Fast 3'000 Menschen besuchen die drei wöchentlichen Gottesdienste. Dabei ist die Situation des Landes auch immer wieder Inhalt der Predigten, erklärt Pastor Vielma: «Es ist unmöglich, nicht von der Kanzel aus über die Situation zu reden. Wir erleben alle dasselbe. Wir können es nicht vermeiden, aber wir können [die Menschen] in diesem Prozess ermutigen, stärken und trösten.»

Auch Nicolas Maduro scheint diesen Trend zum Glauben hin beobachtet zu haben. So bezeichnete er sich im Januar als «wahren christlichen Leiter» und bat das Volk, für ihn zu beten. Während sein Vorgänger Hugo Chavez noch die Kirche auf seine Seite gezogen hatte, ist jetzt allerdings auch die katholische Kirche offen gegen Maduro und seine Politik.

Ein neues Bild in den Strassen

Doch für die Menschen, die in der Kirche Zuflucht suchen, geht es um viel mehr als Politik. «Wir wissen, dass noch schlimme Tage auf uns zu kommen», erklärt etwa Leidy Villegas, eine Mutter von vier Kindern. Doch sie wisse, dass «wir immer Zuflucht in Gottes Ehre finden». Die Gottesdienste bei Kerzenlicht helfen der 34-Jährigen sogar, den Stromausfall zu vergessen.

Und so berichten nicht nur die katholische und die evangelische Kirche Venezuelas von Wachstum, auch die Zeugen Jehovas, Mormonen, Buddhisten und Schamanen, denen immer noch viele Bewohner Lateinamerikas Glauben schenken, erleben, dass die Menschen in der Krise auf der Suche nach mehr sind. «Es ist neu für mich, dass man so viele Leute sonntags aus ihren Häusern zu uns kommen sieht», erklärt auch der Jesuitenpriester Manuel Zapata gegenüber der Washington Post. «Die Leute haben in diesem Jahr ein enormes geistliches Bedürfnis.»

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Datum: 03.05.2019
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / The Washington Post

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