Schweizer Freilichtsommer

Calvin lebt auf der Strasse

Mitten in Genf wird in diesen Wochen das Strassentheater «Calvin. Un itinéraire» aufgeführt. Auf unterhaltsame Weise ermöglicht es eine vieldimensionale Begegnung mit dem Reformator.
Calvin
Calvin

Bereits im Sommer 2009, im Gedenkjahr zum 500. Geburtstag Calvins, wurde dieses Stück gespielt. Auf vielseitigen Wunsch hat man es jetzt wieder aufgenommen. War es zu gut für nur einen Sommer? Jedenfalls fand die Idee Anklang, den Weg Calvins noch einmal in der Genfer Altstadt darzustellen.

Roland Benz, Koordinator des Calvin-Jahrs, fand auch diesmal die nötigen Finanzen, und von der Schauspieltruppe, die er und Regisseur Cyril Kaiser ursprünglich gebildet hatten, wollten alle wieder mittun. Die Reprise hat man in den Spätsommer gelegt, so dass auch Schulklassen kommen können. Und man hofft, dass sich das Publikum von kühlen Abenden und möglichen Regentropfen nicht verschrecken lässt.

Honeymoon

Oben am Fenster, über einem der gediegenen Innenhöfe der Genfer Altstadt, widersetzt sich der frischverheiratete Jean Calvin der Einladung nach Genf. Noch geniesst er in Strassburg das Gelehrtendasein und die Liebe Idelettes. Doch seine fromme Frau schlägt ihn mit seinen eigenen Waffen; Calvin nimmt die Berufung an.

Wie in dieser zweiten Szene, so verdichtet das ganze Stück den Lebensweg in charakteristischen Szenen. Sie zeigen den komplexen Charakter des Reformators, seinen mit Realismus gepaarten Eifer, sein Pathos, die Kämpfe. Sein Genie stellt er in den Dienst des Evangeliums, dessen Kraft er in Paris entdeckt hat.


Lebemänner und laszive Frauen

In Genf schlägt sich Jean Calvin mit Lebemännern und lasziven Frauen herum, die der vom Rat beschlossenen Kirchenzucht widerstreben. Aus Angst, seine Herde werde von Miguel de Servet, dem dreisten Leugner der Dreieinigkeit, verführt, wird er mitschuldig an dessen Verbrennung – während die von ihm geschulten Prediger in katholischen Landen selber als Ketzer auf dem Scheiterhaufen umkommen.

Von diesen zwei Szenen, die im vornehmen Hof des Hôtel de Ville dargeboten werden, führt der Weg ins Auditoire, wo der Reformator einst unterrichtete. Vincent Babel, der Calvin ebenso facettenreich wie engagiert spielt, trägt drei Predigtstücke vor: zuerst sitzend auf dem Stuhl, den einst der kranke Reformator benutzte. Diese letzte Szene bringt das intensive Ringen um die Menschen und den weiten Horizont Calvins zum Ausdruck und auf den Punkt: Sein Leben erfüllte sich im Predigen, im Dienst am Wort Gottes, dem er alles zutraute.

Nicht im Heiligtum

Mit dem Stück, von Catherine Fuchs in profunder Kenntnis der Biographie verfasst, landet die beherzte kleine Truppe Pointe um Pointe. Skeptische und ironisierende Einwürfe von Menschen des 21. Jahrhunderts unterbrechen den Handlungsfluss mehrfach: Wir befinden uns nicht im Heiligtum, sondern auf der Strasse, und lachen mit.

So kommt uns Calvin nahe als kämpfender, unruhiger, von Hoffnung motivierter Gläubiger, als Lehrer und Liebender. Man glaubt es Roland Benz, wenn er sagt, dass sich manche Genfer diesen Calvin von neuem aneignen wollen. Das Stück wird bis zum 13. September in der Altstadt von Genf aufgeführt.

Datum: 03.09.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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