Ein missverstandener Pionier – neu entdeckt
Vor 50 Jahren starb der Zürcher Theologieprofessor Emil Brunner, der zu seiner Zeit weltweit mehr Beachtung fand als sein Freund und späterer Kritiker Karl Barth. Dennoch geriet er später in den Schatten Barths, neben den Barthianern gab es keine Brunnerianer. Weshalb?
Ein Todestag als Chance genutzt
Das Institut «Glaube und Gesellschaft», das unter der Leitung von Walter Dürr an der Uni Fribourg angesiedelt ist, stiess fast zufällig auf das Jubiläumsdatum zum Todestag Brunners und organisierte am 12. September eine Gedenktagung, zu der es unter anderem Kapazitäten wie den Oxforder Theologieprofessor, Publizisten und Apologeten Alister McGrath gewinnen konnte. Dazu drei Professoren der Theologischen Fakultät der Uni Zürich und den Brunnner-Biografen Frank Jehle.
Wie mobil darf und muss Kirche sein?
Einen eindrücklichen Einblick in das Denken von Emil Brunner vermittelte ein Workshop zum Thema «Wie mobil darf Kirche sein? Was ist Ekklesiopreneurship?». Er baute auf einem Vortrag von Emil Brunner aus dem Jahr 1934 auf, an dem er sich an Pfarrer wandte und ihnen eine schonungslose Analyse der gegenwärtigen geistigen Lage und dem Zustand der Kirche vor Augen hielt. Dabei sagte Brunner: 'Unsere Lage unterscheidet sich von der jedes früheren christlichen Jahrhunderts dadurch, dass wir uns einem vollkommenen Säkularismus gegenübergestellt sehen, für den nicht nur der Christusglaube, sondern jegliche Art des Glaubens etwas Nicht-mehr-in-Betracht-Kommendes ist, und zwar einem Massenunglauben, der jede Rede von einem christlichen Europa zur sinnlosen Fiktion macht... Dazu kommt als zweites: Die Kirche selbst ist seit der Aufklärung ihres eigenen Glaubens und ihrer eigenen Verkündigung... so unsicher geworden, sie hat selbst so viel mit dem christlichen Glauben radikal Unvereinbares, Heidnisches oder Weltliches in Praxis und Lehre in sich aufgenommen..., dass man diese innere Säkularisierung als eine noch viel ernstere Gefahr ansehen muss als die äussere.»
Als Reaktion darauf forderte Brunner keine kirchlichen Reformen oder eine bessere Ausbildung, sondern wurde grundsätzlich: «Denn die wahre Kirche Christi ist Missionskirche, und die Missionspflicht ist umso dringender, je näher das Heidentum und das Unterheidentum bei ihren Gemeinden liegt und in sie eindringt.»
Aufruf zu Evangelisation und Gemeindegründung
Dazu müsse die Kirche nicht nur gemeindewahrend und -pflegend sein, sondern eine gemeindeschaffende und -werbende Kirche werden. Sie müsse sich dabei nicht die Stabilität des Tempels zum Vorbild nehmen, sondern vielmehr die mobile Stiftshütte, wenn es um ihre Strukturen geht. Dazu brauche es vor allem die «Mobilisierung der christlichen Laienwelt, die Neubelebung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen». Er sprach von einer «Erweckung des Bewusstseins der Missionspflicht und des Missionsrechts aller Christen».
Aufspringen, wo Gott wirkt
So weit Emil Brunner 1934, der in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus wie ein «Rufer in der Wüste» wirkt. Das Bewahren der Kirche wurde in den kommenden Jahren wichtiger als ihre Erneuerung. Doch heute ist dieses Interesse wieder erwacht. Der Workshop wurde bezeichnenderweise vom aktuellen Leiter der Aus- und Weiterbildung der reformierten Pfarrerschaft, Pfr. Thomas Schaufelberger, geleitet und kam zu interessanten Schlüssen. Es gelte zum Beispiel, in der Gemeinde zu fragen, wo Gott am Werk ist und wo Prozesse im Gang sind, an die man anknüpfen kann, zum Beispiel «Fresh Expressions of Church». Solche Prozesse dürften nicht durch einen detaillierten Plan gestört werden, es brauche Freiräume für die Beteiligten und auch Raum zum Experiment. In der Anglikanischen Kirche werden zum Beispiel «Entrepreneur Ministers» ausgebildet, also kirchliche Mitarbeiter, die neue Projekte aufbauen.
Sieben weitere Vertiefungsseminare dienten dem Ziel, die Ideen Brunners in die heutige Zeit zu übersetzen, und man darf gespannt sein, wann und wo es zu Umsetzungen kommen wird.
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Datum: 15.09.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet