Wer will den Dalai Lama hören? Esoterik-interessierte ältere Frauen auf der Suche nach dem „Licht“? Gestresste Manager auf der Suche nach einem Happen Spiritualität? Junge Leute auf der Suche nach der Wahrheit? Selber bin ich an jenem Abend ebenfalls auf der Suche, nach dem Hallenstadion nämlich. Ich hätte wohl doch besser das Tram nehmen sollen. Ich irre in einem heruntergekommenen Industriequartier herum und schaue mir die Augen nach dem erlösenden Stadion aus dem Kopf. Endlich entdecke ich ein paar Menschen, darunter einige in offenbar tibetischer Tracht. Eine Frau zeigt mir den richtigen Weg. Sie besitzt einen 8-Tages-Pass für die Veranstaltungen des Dalai Lama. Es sei interessant, erzählt sie, aber sehr langfädig. Einmal habe der Dalai Lama sogar selber lächelnd zugegeben, dass es für Nicht-Buddhisten wohl ziemlich langweilig sei. Die Sicherheitsleute am Eingang lächeln auch, als ich frage, wie lange die Veranstaltung wohl noch dauere: beim Dalai Lama könne man nie genau sagen, wann er aufhöre. Es sei schon anders als an anderen Veranstaltungen, meinen sie. Die Stimmung sei friedlich, und von Kleinkindern bis zu 95-jährigen seien alle Altersgruppen dabei. Als die Besucher langsam aus dem Stadion kommen, bin ich trotzdem verblüfft. Sehr viele Gruppen von jungen Leuten, Familien mit Kinderwagen, ältere und wirklich alte Menschen, esoterisch Angehauchte, Alternative mit Rastas, Anzugträger. Es sei sehr gut gewesen, erwidern die meisten. Einer mit Mütze erzählt, dass der Dalai Lama die Leute oft zum Lachen gebracht habe. Einmal zum Beispiel habe er sich eine komische Kappe aufgesetzt. Drei etwa vierzehnjährige Mädchen erzählen von den tibetischen Gesängen und einer Schweizer Gruppe, die tatsächlich „Lueget vo Bärge und Tal“ gesungen habe. Einige hätten es sich etwas tiefgründiger gewünscht. Eine junge Frau sagt, sie sei enttäuscht. Für sie sei nichts Neues dabei gewesen. Die meisten der jungen Leute, die wir fragen, sind gekommen, „um einfach mal den Dalai Lama zu sehen“, und weniger aus Interesse am Buddhismus. Viele Mitarbeiter rund um den Anlass sind ehrenamtlich dabei, nur wenige sind angestellt. Ich befrage zwei Studenten, die hier ihren Ferienjob machen. „Es ist eine friedliche, multikulturelle Stimmung, und es gibt überhaupt keine Probleme“, sagt die eine. Persönlichen Kontakt zum Dalai Lama oder zu einem seiner Mönche hätten sie aber nicht. Eine junge Schweizerin, die sich als Buddhistin bezeichnet, beschreibt kurz ihren Lebenslauf. „Ich bin christlich erzogen worden, wusste aber schnell, dass es etwas anderes geben muss“, erzählt sie. Durch ihren Vater sei sie auf den Buddhismus gestossen und habe schon verschiedene Kurse über buddhistische Meditation und andere Themen besucht. „Es ist nicht so einfach. Alle Buddhisten, die ich kenne, sind Nicht-Europäer. Und es braucht viel Selbstdisziplin, zum Beispiel am Abend, wenn man lieber schlafen möchte als meditieren.“ Für sie sei es vor allem emotional sehr schön, den Dalai Lama einmal live zu erleben. Verschiedene Gruppen verteilen Flyer. Es sind auch einige Christen dabei. Mit dem Slogan «Gott oder Buddha?» werben sie für den christlichen Glauben. „Die Leute nehmen ihn ziemlich bereitwillig an“, erzählt einer. Manche seien aber sehr unhöflich. Leider sehen die „Frommen“ auf dem Platz im Vergleich eher schlecht gelaunt aus. Im Tram zum Hauptbahnhof – diesmal will ich lieber den sicheren Weg nehmen – denke ich über die verschiedenen Antworten nach. Ich staune darüber, wie viele verschiedene Menschen einen Anlass ganz ohne Multimedia besucht und gut gefunden haben. Interessant wäre es jetzt zu wissen, ob die Besucher Antworten auf ihre Fragen bekommen haben, oder ob die Suche weitergeht.
Datum: 11.08.2005
von Anicia Rütti
„Für Nicht-Buddhisten wohl sehr langweilig“
Ein „Lueget vo Bärge und Tal“ für den Dalai Lama ...
Friedliche Stimmung
Geht die Suche weiter?
Quelle: revolution-one.ch
Das Hallenstadion ist ausverkauft. Wer ein Ticket hat, kommt nicht, um mit einer berühmten Band abzurocken, sondern eher um abzuhocken; zwei Stunden lang vor dem Dalai Lama. – Impressionen nach einem Abend.