Dem Pfarrer einer Stadt fiel ein alter, bescheiden wirkender Mann auf. Er fiel ihm darum auf, weil er jeden Mittag in die Kirche ging und sie kurz darauf wieder verliess. Eines Tages nun wollte der Pfarrer von dem alten Mann wissen, was er denn jeweils in der Kirche tue. Der alte Mann antwortete: „Ich gehe hinein, um zu beten!“ Als der Pfarrer verwundert meinte, er verweile aber nie lange genug in der Kirche, um wirklich beten zu können, meinte der alte Mann: „Ich kann kein langes Gebet sprechen, aber ich komme jeden Tag um Zwölf und sage: ‚Jesus, hier ist Johannes!’ Dann warte ich eine Minute, und er hört mich.“ Einige Zeit später musste Johannes ins Spital. Die Ärzte, Schwestern und Pfleger stellten bald fest, dass der alte Mann auf die anderen Patienten einen heilsamen Einfluss hatte. Die Nörgler nörgelten weniger, die von Schmerzen Geplagten hielten besser aus, und die Traurigen konnten auch einmal lachen. Irgendwann einmal sagte die Stationsschwester zu dem alten Mann: „Johannes, die anderen Patienten sagen, du hast diese Veränderung bewirkt. Immer bist du gelassen, fast heiter.“ Der alte Mann meinte darauf: „Schwester, da kann ich nichts dafür. Das kommt durch meinen Besucher!“ Doch niemand hatte bei ihm je Besuch gesehen. Er hatte keine Verwandten und auch keine engeren Freunde. Darum fragte die Stationsschwester: „Dein Besucher, wann kommt er denn?“ - „Jeden Mittag um Zwölf. Er tritt ein, steht am Fussende meines Bettes und sagt: ‚Johannes, hier ist Jesus.’“
Datum: 08.09.2005
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich