Kommentar

Amokläufe verhindern - Killerspiele und Waffen verbieten?

Kurze Zeit nach dem Amoklauf in Winnenden diskutieren Politiker und Experten über die Gründe für die schreckliche Tat von Tim K. Killerspiele verbieten? Waffengesetze verschärfen? Schulen besser sichern? Die Öffentlichkeit sucht nach Strategien.
Killerspiele im Fadenkreuz.
Die meisten Amokläufer planen ihre Tat und entwickeln zuvor eindeutige Gewaltfantasien, die sie dann in Spielen wie "Counterstrike" ausleben.
Hans-Dieter Schwind

Winnenden, 9.30 Uhr. Der 17-jährige Tim K. stürmt in die Albertville-Realschule. Er erschiesst neun Schüler. Keiner von ihnen ist älter als 15 Jahre. Auf seiner Flucht tötet er weitere sechs Menschen, bevor er die Waffe, die er seinem Vater entwendet hatte, gegen sich selbst richtet.

Alabama, Dienstagnachmittag. Michael McLendon tötet 11 Menschen, darunter seine Mutter, seine Grosseltern, Tante und Onkel und er selbst. Der 27-Jährige lebte bis zur Tat im Haus seiner Mutter. Kurz zuvor hatte er seine Arbeit verloren.

Auch über den Winnender Schützen werden mehr und mehr Details bekannt. Still soll er gewesen sein, ein guter Tischtennisspieler, aber häufigem Mobbing in der Schule ausgesetzt. Und was für deutsche Kriminologen derzeit wohl noch wichtiger ist: Er war ein Waffennarr. Freunde berichten von zahlreichen Pistolen, die immer in seinem Zimmer herumgelegen hätten. Dazu kam eine grosse Sammlung an Horrorfilmen. In seiner Freizeit beschäftigte er sich gerne mit dem Ego-Shooter "Counterstrike".

Suche nach Gründen: "Killerspiele" und zu lasche Waffengesetze?

Wie all diese Faktoren mit der schrecklichen Tat des ehemaligen Realschülers zusammenhängen, weiss bisher niemand. Führen "Killerspiele" zu einer Desensibilisierung der Zocker? Erhöht der Besitz von Waffen das Gewaltpotential bei jungen Menschen? Hierzulande, aber auch in den USA, werden derzeit wieder Rufe nach einer Verschärfung der Waffengesetze oder dem Verbot von "Killerspielen" laut. Beide Gedanken sind naheliegend. Auch von den Amokläufern in Erfurt im April 2002 und in Emsdetten im November 2006 weiss man, dass sie Ego-Shooter spielten und sich mit Waffen auskannten.

In der ARD verlangte der Kriminologie-Professor Hans-Dieter Schwind ein generelles Verbot von Computer-Gewaltspielen. "Dass der 17-Jährige auf der Flucht noch weiter um sich geschossen hat, ist ein Verhalten, das Jugendliche auch in Spielen wie Counter Strike oder Crysis lernen können", sagte er laut der "Süddeutschen Zeitung". Medieneinflüsse begünstigten solche Gewalttaten. Noch verheerender wird die Situation, wenn junge Menschen dann auch noch an Waffen gelangen: Laut Schwind sind in Deutschland 10 Millionen legale Waffen und rund 20 Millionen illegale Waffen im Umlauf. Jugendliche hätten darauf noch immer einen viel zu leichten Zugriff - sie müssten einfach nur den Schlüssel für den Waffenschrank finden, sagte der Kriminologe.

Waffenverbot: "Einzig effektive Prävention"

Eine ähnliche Meinung vertrat der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, in dessen Wahlkreis der Amoklauf geschah. Wie er der "Tageszeitung" (taz) sagte, sollte Privatleuten der Waffenbesitz verboten werden. Dies sei "die einzige effektive Prävention gegen Amoktäter". Offenkundig, so erklärte er laut "taz" weiter, seien die Amokläufe in Winnenden und in Erfurt durch die leichte Verfügbarkeit der Waffen begünstigt worden. "Der Täter in Winnenden wäre sonst ja vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen."

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erklärte hingegen laut "Deutschlandfunk", es gehe nicht in erster Linie um das Waffenrecht. Wichtiger sei zu fragen, was in der Gesellschaft geschehe. Dazu zählt auch für ihn der Umgang mit "Killerspielen". Man müsse überlegen, ob die Darstellung und die Verherrlichung von Gewalt in den Medien besser bekämpft werden könnten. Dem stimmte auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zu. Es seien aber Killerspiele auf dem Markt, die "völlig unerträglich" seien und gerade bei jungen Menschen Hemmschwellen herabsetzten, erklärte er im Bayrischen Rundfunk.

Was viele derzeit übersehen: Amokläufe entstehen zunächst in der Psyche, die Waffen, die Spiele - das alles sind Begleiterscheinungen. Sie alleine machen niemanden zum Killer. Vor allem müssen wir lernen, Signale zu deuten, die auf Amokläufe hinweisen.

Nackte Angst: "Tim K. hat also tatsächlich 'Counterstrike' gespielt"

So schreibt etwa die "Netzeitung" treffend: "Tim K. hat also tatsächlich 'Counter-Strike' gespielt. Damit befindet er sich in Gesellschaft von Millionen Spielern in aller Welt. Inklusive aller Varianten und Erweiterungen lagen die vom Hersteller 'Valve' genannten Verkaufszahlen im November 2008 bei 11.100.000 Spielen. Gäbe es einen direkten Zusammenhang zwischen 'Counter-Strike'-Spielern und Amokläufern, müsste einen bei diesen Zahlen die nackte Angst befallen."

Bereits 2003 wurden als Reaktion auf den Amoklauf in Erfurt sowohl die Waffengesetze als auch die gesetzlichen Vorgaben für Altersbeschränkungen bei Spielen verschärft. Das Ergebnis: Computerspiele müssen mit einer Altersfreigabekennzeichnung versehen werden und dürfen nur an entsprechende Nutzer verkauft werden. Zuvor waren Kontrolle und Kennzeichnung freiwillig gewesen. 2008 wurde das Jugendschutzgesetz nochmals verschärft. Seitdem müssen die Altersfreigabe-Kennzeichnungen auf Spielen zwölf Quadratzentimeter gross sein. Darüber hinaus gilt laut "Stern.de": "Spiele, 'die besonders realistische, grausame und reisserische Darstellungen selbstzweckbehafteter Gewalt beinhalten, die das Geschehen beherrschen', werden auch ohne Eingreifen der Prüfstelle als 'schwer jugendgefährdend' eingestuft."

Der Zusammenhang von "Killerspielen" und Gewalt bei Jugendlichen sei laut "Stern.de" in Studien untersucht worden. Eindeutige Ergebnisse hätten diese nicht hervorgebracht. Kriminologen aber wissen: Die meisten Amokläufer planen ihre Tat und entwickeln zuvor eindeutige Gewaltfantasien, die sie dann in Spielen wie "Counterstrike" ausleben. "Eine klassische Amoktat sieht so aus: Der Täter hat Hassgefühle auf andere. Dahinter stecken oft tatsächliche oder vermeintliche Kränkungen und ungelöste Konflikte. Er geht los und bringt die verhassten Menschen um, dann setzt er seinem Leben selbst ein Ende", erklärte Franz Joseph Freisleder, Ärztlicher Direktor der grössten Kinder- und Jugendpsychiatrie Deutschlands, in der "Süddeutschen Zeitung".

Tim K.: "Alle lachen mich aus"

Amokläufer sind auch Opfer ihrer Umwelt - wie Tim K., der in der Schule wohl unter Hänseleien litt und wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung war. Oder wie Michael McLendon, der kurz vor seiner Tat in Alabama seine Arbeit verlor. Tim K. soll, so heisst es, sein Verbrechen im Internet angekündigt haben, was jedoch nicht zweifelsfrei bestätigt ist. "Scheisse, es reicht mir. Ich habe dieses Lotterleben satt. Immer dasselbe, alle lachen mich aus. Niemand erkennt mein Potential", soll er in einem Chat geschrieben haben. Die "Killerspiele", das verriet auch Psychiater Freisleder im Interview, desensibilisierten die Jugendlichen häufig zusätzlich. Der Grund für einen Amoklauf aber sind sie wohl in den seltensten Fällen.

"Dieser Tag mahnt uns auch, darüber nachzudenken, ob wir unseren Mitmenschen immer die notwendige Aufmerksamkeit entgegen bringen", sagte Bundespräsident Horst Köhler am Mittwoch in einer Mitleidsbekundung an die Angehörigen der Opfer. Damit sprach er auch eine Mahnung an uns Christen aus. Gerade wir sind aufgefordert, den Blick auf unseren Nächsten zu schärfen - gelingt uns das, erübrigt sich so manches Problem von selbst.

Datum: 18.03.2009
Quelle: PRO Medienmagazin

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