Als «Zeremonienleiter» Berührungsängste mit der Kirche abbauen
Livenet: Primo Cirrincione, Sie sind in der Schweiz als «Zeremonienleiter» unterwegs. Was
kann man sich darunter vorstellen?
Primo Cirrincione: Unter
einem Zeremonienleiter kann man sich ein Pfarrer ohne Kirche vorstellen. Er
geht zu den Menschen, die ein Ritual oder eine Zeremonie halten möchten und
dabei Hilfe brauchen. Dieses Anliegen zeigt offensichtlich, dass der Mensch in
sich ein geistliches Bedürfnis hat und dies auf verschiedenen Wegen stillen
möchte. Dabei hat der den Bezug zur Kirche und zu Gott verloren und sucht dabei
Alternativen, wobei er auf die Zeremonienleiter trifft.
Die
Durchführung solcher Zeremonien ist traditionell Sache der Kirchen. Kommen Sie
ihnen da nicht ins Gehege?
Sie
sagen es wortwörtlich – Das «Gegehe» ist ja das Problem! Die Kirche hat solche
«Häge» aufgebaut, indem sie Unterschiede macht zwischen «Drinnen» und
«Draussen».
Meine Sicht als Zeremonienleiter überwindet diesen «Hag». Ich versuche, Berührungsängste abzubauen und die Menschen einfach so zu sehen, wie Sie Gott sieht, nämlich als geliebte Geschöpfe, die mit Liebe umworben werden sollen. Dabei versuche ich die Menschen nicht zuerst in die Kirche zu bringen, um sie dann zu lieben, sondern sie zuerst zu lieben, auf dass sie sich auf den Weg machen Gott zu suchen und somit sich der Kirche zu nähern.
Wie
sehr muss der geistliche Aspekt für Sie erfüllt sein? Oder etwas konkreter
gefragt: Führen Sie auch Zeremonien durch, wo Sie nicht über Gott reden dürfen?
Grundsätzlich
muss man sagen, dass wenn ich als Zeremonienleiter eine Trauung, Beerdigung
oder eine Segnung durchführe, Gott immer da ist durch meine Anwesenheit. Nun
ist die Frage, wie stark muss man dies auch mit «Worten» predigen. Da gilt es
ganz sensibel rauszuhören, was bei meinen Kunden möglich ist und was nicht. Da
spielt natürlich die geistliche Geschichte der Menschen eine grosse Rolle – Was
haben Sie erlebt mit Gott – mit der Kirche – mit ihren Geistlichen?
Meine Herausforderung als Zeremonienleiter ist es dann, auf eine kreative Art und Weise, die gute Botschaft der Bibel auf verschiedene Arten zu transferieren. Dabei habe ich z. B. bei einer «Fussball-Trauung» verschiedene Rollen im Fussball aufgegriffen und umgedeutet. Die Fussballspieler als das «Ehe-Team», das lernen muss, gut zusammen zu spielen. Die Zuschauer als «Freunde und Bekannte», die dem Ehepaar Unterstützung geben soll. Und zu guter Letzt der Schiedsrichter als «Gott», der sie während dem ganzen «Ehespiel» begleiten soll und nicht nur als Ermahner da ist, sondern sie auch als Ermutiger und Beschenkender begleitet.
Wo
sehen Sie die Chancen, sich als Prediger und Religionslehrer nun speziell in
diesem Tätigkeitsfeld zu engagieren?
Ich
sehe das Feld von Menschen, die von der Kirche und von Gott nichts mehr wissen
wollen, als immer grösser werdend. Es ist eine grosse Kluft zwischen der Kirche
und den Menschen endstanden, wobei in den letzten Jahren die Kirche an
Kreativität und Attraktivität zugenommen hat bei der Gestaltung der
Gottesdienste und dem Kirchenleben. Doch
die unendlich grosse Liebe Gottes zu uns sollte uns ganz natürlich zu den
Menschen treiben und sie auf eine ganz einfache und pragmatische Weise «weiter
lieben». Dies aber primär nicht mit unserem Programm, sondern mit unserem persönlichen
Leben.
Wie oft erzähle ich meine Religionsschüler von meinem persönlichen Leben, wie ich mit meinem Gott durch gute, aber auch schwierige Lebensphasen gehe. Oder bei der Begleitung einer Trauergemeinde, die einen lieben Menschen verloren haben, wie Gott uns auch nach dem Tot eine Perspektive und Hoffnung für das Leben geben kann. Dabei muss ich beim Blick auf weinende Menschen plötzlich auch weinen, weil ihre Trauer zu meiner wird – und das ist praktische Liebe!
Können
Sie uns von ein bis zwei schönen Erfahrungen oder Begegnungen als
Zeremonienleiter erzählen?
Ich
sehe vor mir das Paar A. & G. Sie waren sehr kritisch gegenüber dem Glauben
und wollten am liebsten das Wort «Gott» gar nicht erwähnt haben in der Trauung.
Es war eine echte Herausforderung, obwohl wir uns auf der Beziehungsebene sehr
gut verstanden hatten und uns auch gegenseitig geschätzt hatten. Bei der
Vorbereitung der Trauung spürte ich in mir, dass ich Ihnen meine aufgeschriebene
Trauung zusenden sollte, um ihr Einverständnis zu erhalten.
Erneut kritisierten sie die Stellen, wo ich punktuell Gott erwähnte hatte. Dabei rief ich sie an und wir versuchten die Punkte zu klären. Dabei kam mir ganz spontan folgender Satz in den Sinn, den ich ihnen so weitergab: «Ich verstehe eure Ängste sehr gut, aber wenn ihr mich als Zeremonienleiter anstellen möchtet, gibt es den «Primo» exkl. Gott nicht – mich gibt es nur inkl. Gott – ich kann das nicht trennen!» Diese Ausführung brachte eine gewisse Klärung und wir konnten die Trauung durchführen, was uns allen grosse Freude bereitete. Nach der Trauung trafen wir uns nach fünf Monaten wieder. Die Zweifel und die Ängste gegenüber dem Glauben und Gott waren verschwunden und hier spürte ich, wie wichtig es ist, mit Menschen einen Weg zu gehen, bis sie zu Freunden werden und sie sich für den Glauben öffnen.
Eine weitere Geschichte erlebte ich anfangs Jahr, wo ein Schiedsrichterkollege mich plötzlich anrief. Sein Schwiegervater sei an Krebs gestorben und sie würden mich gerne für eine freie Abdankung engagieren. Nach dem Besuch der Witwe, wo ich die Lebensgeschichte und die Trauerfamilie kennenlernen konnte, kamen wir zum Schluss, dass die Abdankung am Lieblingsort des Verstorbenen stattfinden solle: An einem freien Modellflugplatz. Die Umstände waren nicht so einfach und die Ungewissheit mit dem Wetter war auch ein schwieriger Faktor. Doch mit viel Kreativität und Mut hielten wir im Februar am Flugplatz die Abdankung mit der Aschenbestattung. Die Trauergemeinde, die aus vielen Freunden und Bekannten bestand, war von der Zeremonie sehr berührt. Einige Gäste kamen auf mich zu, um mich zu fragen, ob ich auch Ihre Beerdigung tätigen könnte, wenn Sie sterben würden. Und so war es auch, dass zwei Monate später, eine Person aus der Gruppe starb und ich die Beerdigung halten durfte. Erneut traf ich die gleichen Menschen wie im Februar und ich spürte, dass der Kontakt und die daraus wachsenden Freundschaften gute Beziehungen und Anknüpfungspunkte für Gespräche und Austausch ergaben.
Sie
sind ja nicht der einzige Pfarrer, den man für ein Fest «mieten» kann. Wo kann
man sich erkundigen über die Angebote von weiteren christlichen
Zeremonienleitern?
Sie
sprechen da einen ganz wichtigen Punkt an. Ja, es gibt ganz viele
Zeremonienleiter, Trauredner oder Grabredner. Dabei bemerke ich, dass es ganz
wenige gibt, die nicht primär die Gage im Blick haben, sondern die Menschen zu lieben. Umso wichtiger ist
es, das auch Christen oder Theologen sich in diesem Bereich bewegen.
Eine Gruppe aus sieben
Personen, die sich dies auf die Fahne geschrieben hat ist die Plattform Dein
Pfarrer. Diese Leute kann ich alle sehr empfehlen. Und wenn Sie meine persönlichen Seiten besuchen möchten haben Sie da
verschiedene Möglichkeiten:
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Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet