Barmherzige Mutter der Armen
Ihre radikale Art rief logischerweise auch Kritiker hervor. Wie es so ist, war ihre Persönlichkeit vielschichtig, mit Humor, Freundlichkeit und Radikalität. Kompromisslosigkeit hat oft auch etwas Hartes. Und doch lebte sie viel Mitgefühl und Barmherzigkeit und hat ein gewaltiges Erbe an Diakonie hinterlassen. Heute gehören den Missionaren der Nächstenliebe über 710 Häuser in 133 Ländern der Erde an. Über 3'000 Ordensschwestern und 500 Ordensbrüder führen Mutter Teresas Werk fort.
Von Tochter zur Schwester und Mutter
Wie Franz von Assisi wuchs Anjezë Gonxhe Bojaxhiu in einem wohlhabenden Elternhaus auf und verschrieb sich später der Armut. Geboren wurde sie am 26. August 1910 im heutigen Skopje, Nordmazedonien.
Gonxhe, deren Name liebevoll für Knospe steht, besuchte die katholische Mädchenschule und wusste schon mit zwölf Jahren, dass sie Nonne werden würde. Sie liess sich 18-jährig ins Mutterhaus der Loretoschwestern in Irland aufnehmen, wurde aber bereits nach zwei Monaten nach Bengalen (Indien) gesandt.
Zusammen mit der Einkleidung zog sie sich auch den Ordensnamen Teresa über und war an der St. Mary's School als Lehrerin und später als Schulleiterin tätig. Einst sollte sie zur Mutter von vielen werden.
Hilf den Armen, so hilfst du Gott
Den 10. September 1946 beschrieb Mutter Teresa als Tag ihrer Berufung zu den Armen. Sie sei von Jesus mit den Worten «Mich dürstet» aufgefordert worden, ihm in den Ärmsten der Armen zu dienen.
Mit der Erlaubnis, das Kloster der Loretoschwestern für diesen Dienst zu verlassen und dennoch Ordensschwester zu bleiben, lebte sie in Kalkutta, wo sie zunächst allein wirkte, bis einige frühere Schülerinnen dazukamen.
Das folgende prophetische Gleichnis zitierte sie für diesen Schritt ihrer Lebensmission, die sie so radikal, wie kaum jemand anderes auslebte: «Dann wird der König zu denen auf der rechten Seite sagen: '…Nehmt das Reich in Besitz… Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben… und ihr habt mir Kleidung gegeben…' Dann werden ihn die Gerechten fragen: 'Herr, wann haben wir dich denn hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder krank…?' Darauf wird der König ihnen antworten: 'Ich sage euch: Was immer ihr für einen meiner Brüder getan habt – und wäre er noch so gering geachtet gewesen, das habt ihr für mich getan.'» (Matthäus Kapitel 25, Verse 34-40 NGÜ)
So beschrieb sie beispielsweise ihre Hilfe für Leprakranke: «Am meisten leiden sie darunter, dass sie von allen gefürchtet werden und dass man sie nirgendwo haben will. Dort (in den Institutionen) können sie in Würde arbeiten. Sie müssen nicht betteln. Wir stehen in sehr enger Verbindung mit ihnen und geben ihnen liebevolle Fürsorge. Wir möchten, dass auch diese Menschen sich geliebt fühlen.»
Die Not Indiens ist gross, so verschwinden zum Beispiel täglich rund 175 Kinder.
Für ungeborenes und geschändetes Leben
Sie war eine entschiedene Gegnerin von Abtreibungen und sagte 1979 in ihrer Rede an der Friedensnobelpreis-Verleihung: «Der grösste Zerstörer des Friedens ist heute der Schrei des unschuldigen, ungeborenen Kindes. Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind in ihrem eigenen Schoss ermorden kann, was für ein schlimmeres Verbrechen gibt es dann noch, als wenn wir uns gegenseitig umbringen? … Aber heute werden Millionen ungeborener Kinder getötet, und wir sagen nichts. … Sie fürchten die Kleinen, sie fürchten das ungeborene Kind.»
Oder sie holte kurzerhand 110 Frauen aus dem Gefängnis, 75 geistig Behinderte und andere aus ungewollter Prostitution. Dann gründeten sie das «Haus der entlaufenen Huren».
Humor für Himmelsbürger
Auch ihr Humor schimmerte immer wieder durch und war von spezieller Güte, so berichtete sie von ihrer Anfangszeit in einem Interview aus dem Jahr 1996: «Als ich gerade begonnen hatte, träumte ich eines Nachts, dass ich zum Himmel kam. Aber St. Peter verscheuchte mich und meinte, hier gebe es keine Slums. Da wurde ich wütend und drohte ihm, dass ich viele Slum-Bewohner in den Himmel bringen und ihn füllen werde. Heute sind es 50'000. Er muss jetzt sagen, sie hat sich gerächt. Ist das nicht wunderbar? Und keiner von ihnen ist verzweifelt gestorben – wunderbar!» Oder sie erklärte in ihrem unverkennbaren Stil: «Ich habe einen Vertrag mit dem lieben Gott. Für jedes Foto, das sie (die Öffentlichkeit) von mir machen, wird eine Seele gerettet. Heute ist das Fegefeuer leer!»
Kritik und (Glaubens-)Krisen
Tagebuchnotizen von Mutter Teresa zeigen auch Schattenseite und Kämpfe ihrer Seele. Das macht sie jedoch umso menschlicher. So schrieb sie: «In meinem Innern ist es eiskalt» oder «Die Seelen ziehen mich nicht mehr an – der Himmel bedeutet nichts mehr – für mich sieht er wie ein leerer Platz aus.»
Unzureichende hygienische Massnahmen und Ernährung wurden in ihren Institutionen bemängelt. Teilweise waren die Standards bewusst niedrig gehalten, um der Schlichtheit und dem Gelübde der Armut zu entsprechen.
Auch wird ihr vorgeworfen, zu wenig Transparenz der Gelder gewährt zu haben. Wiederum übertrug sie ihre kompromisslose Askese auch auf die Bedürfnisse der Missionaries of Charity; etwa als sie es ablehnte, ein grosses Gebäude in den New Yorker Bronx als Geschenk anzunehmen, um darin eine Obdachlosen-Unterkunft einzurichten.
Seliger Tod und heilig gesprochen
Am 5. September 1997 starb Mutter Teresa und wurde in Kalkutta mit einem Staatsbegräbnis beerdigt, und dies in dem von ihr gegründeten Kloster. Unmittelbar zuvor, am 31. August, verstarb Prinzessin Diana, was damals den Tod der Nonne etwas in den Hintergrund drängte.
Das bis dahin kürzeste Seligsprechungs-Verfahren der Neuzeit wurde mit der Seligsprechung Mutter Teresas am 19. Oktober 2003 vollendet. Darauf folgte der nächste Schritt der Heilig-Sprechung. Von ihrem «Seelenverwandten der Barmherzigkeit» Papst Franziskus und einer kirchlichen Kommission wurden zwei Heilungen anerkannt, wozu eine medizinische Expertenkommission die eine Heilung als wissenschaftlich nicht erklärbar bezeichnete. Mit diesen, durch die Kirche bestätigten Wundern proklamierte am 4. September 2016 der Papst feierlich die Heiligsprechung der Ordens-Gründerin auf dem Petersplatz in Rom.
Kommentar
Der Autor selber hatte die Gelegenheit, in einem Hospiz der M.o.Ch. mitzuhelfen und war von den Schwestern beeindruckt. Kritiken mögen teilweise berechtigt sein. Video-Aufnahmen zeigen aber die offene Persönlichkeit von Mutter Teresa und lassen das Negative in den Hintergrund rücken. Ihr Wesen lebt in den zahlreichen Barmherzigkeits-Projekten weiter.
Hier sehen Sie eine weiterführende
Dokumention über ihr Leben:
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Datum: 05.09.2020
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet