«Evangelische gelten als Gefahr für die Staatssicherheit»
36 Jahre waren Carlos Madrigal und seine Frau Rosa in der Türkei als Missionare tätig. Ihren Dienst mussten sie abrupt abrechen, nachdem Carlos im Februar keine Einreisebewilligung erhielt. «Wir vermuten, dass man uns praktisch der Proselytenmacherei beschuldigt», erklärt Carlos – also der Evangelisation und Missionierung. Sie haben bereits den gerichtlichen Weg eingeschlagen. Es gehe darum, das Image der Protestanten in der Türkei zu korrigieren, denn diese, das ist nicht zuletzt seit dem Fall von Pastor Andrew Brunson (Livenet berichtete) klar, sind im mehrheitlich muslimischen Land nicht erwünscht.
Stillschweigend die Missionare rauswerfen
Im Interview mit dem evangelischen Nachrichtenportal aus Spanien, Protestante Digitial, erklärte Carlos Madrigal, dass nicht nur ihm die Einreise verweigert wird, sondern weiteren 80 Personen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Der Grund wird nicht genannt, die Papiere können nicht eingesehen werden. «Es ist eine Form, stillschweigend die Missionare aus dem Land zu werfen», so Madrigal. Denn da die Dokumente nicht eingesehen werden können, könne man sich auch nicht wirklich verteidigen.
Ausländischen Ehepartnern von vielen türkischen Christen, die noch nicht einmal Pastoren sind, würde zudem die Einbürgerung verweigert, berichtet Carlos' Ehefrau Rosa. «Ganz allgemein gesagt werden die evangelischen Christen in der Türkei als eine Gefahr für die Staatssicherheit angesehen», fasst es Carlos zusammen. Seit dem Problem mit Andrew Brunson würden die Protestanten verteufelt, als seien sie gegen die Regierung. Sie würden automatisch mit den extrem rechten Politikern der USA in Verbindung gebracht.
Die Arbeit geht weiter
Doch inmitten der Probleme bleiben die beiden motiviert. Denn Rosa darf weiterhin ins Land einreisen – und jedes Mal, wenn sie reist, erlebt sie, dass ihr Werk weitergeführt wird. «Es gab drei verschiedene Taufen und ich konnte an allen teilnehmen. Ich habe die Pastoren besucht und sie sind motiviert.» Carlos schult die Pastoren in der Türkei online, ab und an predigt er auch online. «Die Verbindung zu ihnen ist nicht abgebrochen und das zwingt sie (die Pastoren in der Türkei), Verantwortung zu übernehmen. Es gibt neue Menschen, die sich für den Glauben entschieden haben. Es gibt auch neue Gemeinden. Sie lernen und stellen sich den neuen Themen in der Pastoralarbeit. (…) Sie (die Behörden der Türkei) haben verhindert, dass ich in die Türkei reise, aber sie haben uns im Bezug auf das Werk im Land nicht die Flügel stutzen können.»
Das Ehepaar wird sich ab sofort in Spanien einsetzen – dort gäbe es ebenfalls viele Möglichkeiten zum Dienen. Und sollten die gerichtlichen Berufungen in der Türkei alle scheitern, ist geplant, den Fall der Betroffenen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Denn es sei deutlich, dass dies kein Einzelfall ist.
Warum es keine Erweckung braucht
Und wie sieht es mit der Zukunft der Türkei aus? Carlos erklärt, dass er von vielen Christen gehört habe, die für eine Erweckung in der Türkei beten. Doch damit eine Erweckung geschieht, müsse es überhaupt erst eine grosse Gruppe von Christen geben, die «eingeschlafen» sind. «Sie vergessen, dass in den Ländern, die keine christliche Tradition haben, sich das Evangelium durch Evangelisation und Mission verbreitet. Wir können unser Leben lang für Erweckung beten, aber wenn wir das Evangelium nicht predigen, erreichen wir gar nichts. Es ist besser, für eine reiche Ernte zu beten, aber derjenige, der für eine Ernte betet, muss auch aussäen.»
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Datum: 11.11.2022
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / Protestante Digital