Hat die Aufklärung wirklich das Christentum überholt?
Unter «Aufklärern» sollte man sich keineswegs ein harmonisches Kaffeekränzchen vorstellen. Dazu gehörten ein Haufen Rebellen, welche auch oft sogar untereinander im Streit lagen. Was sie bei all ihrer chaotischen Unterschiedlichkeit verbindet, ist ihre Forderung nach Gleichberechtigung aller Menschen. Diese Idee war offensichtlich zu ihrer Zeit neu. Noch nie hatte es ein Volk oder eine Epoche mit der Forderung nach gleichen Rechten für ungleiche Menschen gegeben. Doch woher kam diese revolutionäre Idee überhaupt?
Eine rein europäische, nicht zufällige Bewegung
Die Aufklärung war eine rein europäische Bewegung und entstand nicht zufällig. Sie war die Fortsetzung einer Entwicklung, die schon lange zuvor begonnen hatte. Den fruchtbaren Samen hatte die katholische Kirche gepflanzt, als sie in jahrhundertelanger Arbeit das ererbte römische Gesetz überarbeitete (gregorianische Reform) und sich dafür einsetzte, dass gewisse Grundrechte für alle Europäer gelten sollen, auch die untersten Schichten.
Doch die Bibel sagt mehr als das. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn es denn wirklich so ist, dass Gott alle Menschen in seinem Bilde erschuf, und Jesus am Kreuz nicht nur die oberen Zehntausend, sondern sogar den Mörder erlöste, der am anderen Kreuz hing, dann sind alle Menschen gleichwertig. Jahrhundertelang hing dieser Gedanke in der Luft. Die möglichen Konsequenzen dieser phänomenalen Idee wurden zuerst zaghaft, dann mutiger, immer vielfältiger und schliesslich völlig übertrieben und chaotisch nach Europa hinein kommuniziert.
Man muss sich bewusst sein, dass die Aufklärung vor Darwin stattfand. Sollte das Leben auf Überlebenskampf beruhen, dann würde es gar keinen Sinn machen, gleiche Rechte für alle zu verkünden. In dem Fall erschiene es als logisch, dass der Starke über den Schwachen herrscht; dass die Nationalsozialisten alle Menschen mit Behinderungen und die Kommunisten alle «schmarotzerischen Kapitalisten» vernichten.
Eine Idee aus der Bibel
Die Aufklärer dagegen hatten keine Zweifel daran, dass es darum gehe, für alle Menschen gleiche Rechte zu fordern. Sie waren Kinder ihrer Zeit. Keiner hat die Idee der Gleichheit selber erfunden. Auch wenn sich wenige dessen bewusst waren und sind: Sie kam letztlich aus der Bibel. Sie erfanden die Demokratie mit ihrer Gewaltentrennung, kämpften gegen die besondere Rechte der Erstgeborenen, gegen die Standesunterschiede, gegen die Privilegien von Königen und Staatskirchen. In der Folge gab es Revolutionen und Kriege. Es brodelte. Die Aufklärung hatte also keineswegs nur schöne Auswirkungen. So gibt es eine direkte Linie von Rousseaus Lehren zur französischen Revolution und der Hinrichtung von Zehntausenden sowie den napoleonischen Kriegen, welche Hunderttausenden das Leben kostete. Diese Blutbäder sind Warnzeichen. Die Forderung nach Gleichberechtigung kann sich leicht zu einem lieblosen Gleichmacherwahn entwickeln.
Die Aufklärung war im Grund der Dinge eine Befreiungsbewegung der Benachteiligten gegen das herrschende System und dessen pseudochristliche Argumente. Diese Kritik war auch aus biblischer Sicht berechtigt, denn man findet in ihr weder die Idee der «Staatskirche» noch der «christlichen Könige». Jesus sandte seine Jünger zum Dienen, nicht zum Herrschen. So ist denn auch die einzige Regierungsform, bei welcher die Politiker dem Volk dienen, anstatt zu herrschen, die Demokratie, vom Aufklärer John Locke gemäss seinen eigenen Worten direkt aus der Bibel hergeleitet worden.
Gleichheit aller Religionen?
Aus dem Kampf der Aufklärung gegen Missstände hätte also keineswegs eine prinzipiell antichristliche Bewegung werden müssen. Dennoch wurde schliesslich das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet. Anstatt die grundlegende Rolle der Bibel bei der grossartigen Entwicklung Europas anzuerkennen, warf man alles Christliche mit dem Pseudochristlichen in den gleichen Topf. Die Forderung nach Gleichberechtigung führte nicht nur zur Verleugnung der einzigartigen Rolle der Bibel, sondern sogar dazu, dass man gewaltsam alle Religionen gleichwertig erklärte. Dies zeigt sich etwa in der Ringparabel G. E. Lessings, die von einem König erzählt, welcher am Ende seines Lebens einem seiner Söhne einen vererbbaren Ring mit geheimen Kräften geben soll. Da er sie alle liebt, kann er sich nicht entscheiden. So lässt er schliesslich zwei Ringe nachmachen, damit der echte Ring gar nicht mehr erkennbar sei. Durch dieses Gleichnis sollte die Gleichheit aller Religionen gelehrt werden.
Doch die Ringparabel widerlegt sich selber. Sie lehrt eigentlich einen grossen Betrug. Davon ausgehend, dass es einen echten Ring gibt, der Wohlstand, Frieden und Glück bringt, zeigt sie einen Vater, der zwei seiner Söhne aus falsch verstandener Liebe betrügt. Mit der Zeit wird sich zeigen, wer den wahren Ring hat und wer nicht.
Gutes erreicht, aber zu welchem Preis?
Entgegen dem heutigen allgemeinen Verständnis ist es in Wirklichkeit gerade die Aufklärung, welche den einzigartigen Wert der Bibel zeigt. Wenn der Islam Europa erobert hätte, so wäre die Gleichheit aller Menschen unmöglich zum Thema geworden. Die Aufklärung und alles, was ihr folgte, wäre dann nie geschehen, denn im islamischen Schariagesetz wird in aller Deutlichkeit die Ungleichheit der Menschen zementiert. Es gäbe heute in Europa weder allgemeine Menschenrechte noch Demokratie, noch Gewaltentrennung, noch allgemeinen Wohlstand.
Hätten sich unsere christlichen Vorfahren wirklich an die Lehren von Jesus gehalten, so würde die Geschichte Europas viel schöner aussehen. Trotzdem hat der Einfluss der Bibel auf unserem Kontinent einzigartige Entwicklungen wie die Aufklärung hervorgerufen. Leider haben die meisten Aufklärer den Fehler der Namenschristen wiederholt: Auch sie vergassen, die Evangelien zu ehren, von denen ihre Bewegung ursprünglich in Gang gebracht worden waren. Sie krönten ihre eigene begrenzte Vernunft zum Gott und begründeten eine Feindschaft gegen die Bibel, die leider bis heute Nachfolger findet.
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Datum: 25.04.2022
Autor: Kurt Beutler
Quelle: Livenet