Ist es christlich, Geflüchtete an der Grenze abzuweisen?
Innerhalb der deutschen Regierung kam es in den letzten Tagen zu einem Machtkampf mit noch offenem Ende. Innenminister Horst Seehofer (CSU) legte einen Masterplan vor, der die Möglichkeit zur direkten Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze beinhaltet. Demgegenüber setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf eine europäische Lösung. Beide Meinungsführer erhalten nun Zustimmung aus christlichen Kreisen und auch aus der jeweils anderen Partei.
Gegen Missbrauch des Asylrechts
Das Nachrichtenmagazin idea zitierte den Bundestagsabgeordneten Alexander Krauss (CDU) und führte ihn dazu als «bekennenden evangelischen Christen» ein. Nach einigen versöhnlichen Worten, die die (entfernte) Möglichkeit eines europäischen Kompromisses betreffen, kommt Krauss zur Sache: «Dennoch ist die Frage berechtigt, ob Deutschland Menschen an seiner Grenze abweisen sollte. Ist das christlich? Ja, wenn es sich um einen Missbrauch des Asylrechts handelt.»
In seiner Position stellt der Politiker das Asylrecht selbst nicht infrage, allerdings verweist er auf die Möglichkeit es zu missbrauchen. Seine etwas irritierende Wortwahl (Ein Asylantrag ist per se kein Missbrauch, selbst wenn ihm im Nachhinein nicht stattgegeben wird!) ergänzt der Abgeordnete durch eine Beschreibung der derzeitigen Befindlichkeiten: «Der starke Zustrom der Flüchtlinge hat unser Land tief verunsichert. Die Gesellschaft ist tief gespalten, Grundsäulen unserer Demokratie werden hinterfragt, ein über Jahre stabiles Parteiensystem ist in Bewegung gekommen. Die Stimmung hat sich in den vergangenen Monaten nicht geändert – trotz des starken Rückgangs der Asylbewerber.» Sein Fazit als Christ: «Jetzt braucht es ein starkes Zeichen … es geht um Deutschland!»
Der Menschenwürde verpflichtet
Der Deutschlandfunk interviewte Hans Maier (CSU), den ehemaligen bayerischen Kultusminister und – auch hier mit Betonung seiner christlichen Wurzeln – «Präsident des Zentralkomitees der Katholiken». Auf die konkreten Ängste, die hinter Seehofers Grenzvorschlag stehen, geht er kaum ein. Er sieht seine Partei dagegen selbst angstmotiviert und trendbestimmt in der Annäherung an Positionen der rechtspopulistischen AfD: «Und dass ausgerechnet die Flüchtlingspolitik jetzt als Scheidungsgrund hervortritt, das ist grotesk, das ist abenteuerlich. Denn die christlichen Parteien sind ja auf die Menschenwürde verpflichtet, auf das Eintreten für die Verfolgten, auf die Antriebe der zehn Gebote, die Botschaft Jesu. Der Sozialstaat wäre gewiss ohne den Impuls der Nächstenliebe nicht entstanden. Dass dieser Streit über das Asylrecht nun die beiden Parteien, die sich christlich nennen, trennt und entzweit, das kann ich überhaupt nicht verstehen.»
Sein Fazit ist: «Eine christliche Partei [kann] niemals nur konservativ sein. Auch das Christentum ist kein konservatives Element, sondern ein Element ständiger Veränderung, ständiger Umwandlung. Die Nächstenliebe ist etwas Dynamisches und nicht etwas Konservatives.»
Christliche Positionen?
Beide Argumentationsstränge liessen sich beliebig erweitern und entfalten. Interessant ist das Bemühen beider Seiten, ihre jeweilige Haltung als die einzig mögliche christliche Herangehensweise darzustellen. Dabei liegen die Positionen gar nicht so weit auseinander, wie die Kontrahenten uns glauben machen möchten. Tatsächlich gibt es vieles, was sich positiv zur einen wie zur anderen Position sagen liesse. Auf der Webseite evangelisch.de unterstreicht der rheinische Präses Manfred Rekowski allerdings, dass bei allen berechtigten Anfragen der Schutz der Schwachen vorgehe: «Nach christlichem Verständnis sind Menschenwürde und Menschenrechte unteilbar.» Die Ideen Seehofers bezeichnet er als Symbolpolitik oder nationale Alleingänge, stattdessen seien «solidarische und menschenrechtsorientierte Lösungen gefragt».
In seinem Kommentar auf Zeit-online.de identifiziert Matthias Nass etwas ganz anderes als Grund der Auseinandersetzungen: Angela Merkel sei müde und Horst Seehofer unterstreiche: «Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.» Will heissen: Zum Grossteil geht es in der Auseinandersetzung gar nicht um den C-Faktor, die christlichen Gemeinsamkeiten, sondern um den M-Faktor, M wie Macht.
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Datum: 23.06.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet